Mitte der 1990er Jahre verlagert sich das Geschehen weg von den USA und Europa an das andere Ende der Welt: China entpuppt sich immer mehr als wahres Paradies für Fossilienjäger. Vor allem in der Provinz Liaoning im äußersten Nordosten Chinas stoßen Paläontologen gleich in mehreren Gesteinsformationen auf besonders viele gut erhaltene Relikte. Der Grund: Vor rund 124 Millionen Jahren ereigneten sich in der angrenzenden Inneren Mongolei gleich mehrere Vulkanausbrüche, die jedes Mal auch weite Teile Liaonings unter Asche begruben. Die besonders feinpulvrige Vulkanasche verschüttete Pflanzen und Tiere der frühen Kreidezeit und konservierte sie über Jahrmillionen hinweg. Als Wissenschaftler hier graben, finden sie unzählige gut erhaltene Blätter, Insekten, Fische, Frösche, Salamander, Echsen, Krokodile und sogar frühe Säugetiere.
Li Yumin und das „Superfossil“
Den aufsehenerregendsten Fund macht im August 1996 jedoch kein professioneller Paläontologe, sondern ein „Amateur“: Li Yumin, ein in der Region ansässiger Bauer und „Teilzeit-Fossilsammler“, stößt bei einem seiner Rundgänge in der Yixian-Formation auf eine vielversprechende Gesteinsplatte. Als er sie spaltet, entdeckt er in ihrem Inneren die beiden Hälften eines rund 70 Zentimeter langen Fossils. Li erkennt gleich, dass es sich hier um etwas Ungewöhnliches handeln muss und fackelt nicht lange: Er sackt die beiden Tafeln ein und bietet wenig später sowohl dem Nationalen Geologischen Museum in Peking als auch dem Institut für Geologie und Paläontologie in Nanjing jeweils eine Hälfte des Fossils an.
Der Leiter des Museums, Ji Qiang, greift sofort zu, denn auch ihm ist die Bedeutung des Fossils schnell klar: Das wohlkonservierte Skelett hat zahlreiche Merkmale eines kleinen Theropoden, einem Vertreter der zweifüßig laufenden, meist fleischfressenden Dinosaurier, die als die engsten Verwandten des Archaeopteryx gelten. Die genauere Analyse enthüllt, dass er zur gleichen Gruppe gehört wie Compsognathus, der „Minidino“, der im 19. Jahrhundert Thomas Huxley als Vergleich mit dem Archaeopteryx diente.
Dinosaurier mit „Fussel“-Hülle
Doch darüber hinaus sind in dem Gestein ganz klar Abdrücke einer teilweise dichten Hülle aus dünnen, fädigen Anhängen an Rücken, Beinen, Nacken, Schwanz und Armen zu erkennen. Nähere Untersuchungen enthüllen Ähnlichkeiten dieser Auswüchse mit den Daunen moderner Vögel –es muss sich um primitive Federn handeln.
Damit ist das Sinosauropteryx getaufte Fossil der erste Dinosaurier, der ein eindeutiges Vogelmerkmal aufweist ohne selbst Vogel zu sein. Auch der kanadische Paläontologe Phil Currie, der im Oktober 1996 zufällig zu Besuch ist, kann es kaum fassen: „Als ich diese Platte von Schluffstein gemischt mit vulkanischer Asche und der in ihr eingebetteten Kreatur sah, fiel ich fast um“, zitiert ihn die New York Times in einem wenig später erscheinenden Artikel.
Die Sensation ist perfekt. Denn mit dem gefiederten Sinosauropteryx ist erstmals belegt, dass auch Vertreter der Dinosaurier ein Federkleid trugen. Diese Erkenntnis verändert das Bild der vermeintlich schuppigen „Schreckensechsen“ vollständig – und scheint ein weiterer Hinweis auf die enge Verwandtschaft von Vögeln und Dinosauriern. Auch John Ostroms Theorie von warmblütigen Dinosauriern – lange Zeit eher in Vergessenheit geraten – wird plötzlich wieder hoch aktuell.
Nach dem Fund von Sinosauropteryx und später weiteren gefiederten Dinosauriern kommen die Paläontologen immer mehr zu dem Schluss, dass höchstwahrscheinlich viele Theropoden, darunter die meisten Raptoren, die zweibeinig laufenden, wendigen Fleischfresser, ebenfalls gefiedert waren. Aber wozu dienten die Federn? Waren dies erste Schritte hin zu den späteren Vögeln? Oder dienten sie zur Wärmeisolierung der vermutlich bereits warmblütigen Tiere? Oder waren es einfach nur Unterscheidungsmerkmale, bunte Signale in Revierkampf oder bei der Partnerwahl? Diese Fragen bleiben zunächst jahrelang offen.
Ringelschwanz und Fleckenmuster
2010 dann bringt eine in „Nature“ veröffentlichte Studie eines internationalen Forscherteams Licht ins Dunkel: Bei der vergleichenden Analyse der Federkiele und Borsten von Sinosauropteryx und fossilen Vögeln weisen sie auch beim Dino Melanosomen, Pigmentzellen der Haut, in den Proteinstrukturen der Federn nach. Die gut konservierten Zellen gehören zu den Typen, die bei heutigen Vögeln schwarz-graue und orange-braune Farbtöne erzeugen – und dies wahrscheinlich auch bei Sinosauropteryx bereits taten. Die Rekonstruktion der Federmuster ergibt, dass Sinosauropteryx vermutlich sogar einen auffallend braun-weiß gestreiften Ringelschwanz und gefleckten Rumpf besaß.
Demnach hatten die ersten Federn den Dinosauriern vermutlich vor allem eine soziale Funktion: Ähnlich wie viele Vögel könnten sie Artgenossen beispielsweise Artzugehörigkeit, Geschlecht oder auch besondere Fitness signalisiert haben. Nach Ansicht der Wissenschaftler zeigt dieser Fund erneut die engen Gemeinsamkeiten von Vögeln und dieser Dinosauriergruppe und bestätigt ihre Abstammung von den Theropoden. Die bunten Federn belegen, dass sich die einzigartige Kombination von Merkmalen, die den modernen Vogel ausmacht – Federn, Flügel, leichtes Skelett, schneller Stoffwechsel und vergrößertes Gehirn – durchaus Schritt-für-Schritt entwickelt haben kann.
„Wir wissen jetzt, dass die Federn schon vor den Flügeln existierten“, erklärt Mike Benton, Professor für Paläontologie an der Universität von Bristol. „Wir postulieren, dass die Federn sich erst als Träger von Farbsignalen entwickelten und erst später in ihrer evolutionären Geschichte für Flug und Isolierung nützlich wurden.“
Nadja Podbregar
Stand: 13.08.2010