Nach dem Skandal um den „Archaeoraptor“ geht die Suche nach einem echten Bindeglied zwischen frühen Vögeln und Dinosauriern weiter. In China und anderswo werden immer mehr Fossilien von gefiederten, in vielen Merkmalen vogelähnlichen Dinosauriern gefunden. Auch Urvögel, weiter fortgeschrittene Verwandte des Archaeopteryx, entdecken die Paläontologen in den Kreidezeitformationen von Liaoning. Doch sie alle haben ein großes Manko: Sie sind viel zu jung.
Denn Archaeopteryx, der erste und bisher noch immer ursprünglichste Urvogel, stammt nicht aus der Kreidezeit, sondern aus dem Jura. Er ist rund 150 Millionen Jahre alt und damit mindestens 30 Millionen Jahre älter als die meisten gefiederten Dinosaurier, die doch eigentlich seine Vorfahren, oder zumindest seine engsten Verwandten sein sollen. Genau diese Diskrepanz nehmen einige Forscher, darunter Alan Feduccia von der Universität von North Carolina und Larry Martin von der Universität von Kansas, zum Anlass, erneut grundlegend an der Evolution der Vögel aus theropoden Sauriern zu zweifeln.
Parallelentwicklung statt Verwandtschaft?
„Wir sind alle einer Meinung, dass Vögel und Dinosaurier einige gemeinsame Reptilienvorfahren besitzen“, erklärt Feduccia im Jahr 2005 in einer Pressemitteilung. „Aber zu sagen, die Dinosaurier sind die Vorfahren der modernen Vögel, die wir hier herumfliegen sehen, nur weil wir uns das so wünschen, ist ein großer Fehler.“ In einer Art Rückgriff auf die in den 1970er Jahren verbreitete Lehrmeinung, postulieren er und seine Mitstreiter stattdessen einen gemeinsamen Vorfahren der Dinosaurier und Vögel, aus dem sich beide Linien dann unabhängig voneinander entwickelten.
Als Argumente dafür sehen sie zum einen anatomische Diskrepanzen – bei Dinosauriern wird die Hand aus Daumen und den beiden folgenden Fingern gebildet, bei den Vögeln aus den drei mittleren Fingern. Zum andren aber vor allem die zeitliche Abfolge: „Oberflächlich vogelähnliche Dinosaurier tauchen 25 bis 80 Millionen Jahre nach dem ersten bekannte Vogel auf, der 150 Millionen Jahre alt ist“, so Feduccia. „Wenn ein gefiederter Dinosaurier gefunden wird, der früher lebte, vielleicht im späten Trias, das wäre sehr überzeugend. Aber bis wir diese kritischen Exemplare finden, bleibt die Frage offen.“
Xu Xing findet die Antwort
Die Antwort auf Feduccias „offene Frage“ kommt jedoch schneller als gedacht, und gefunden wird sie – wieder einmal – von Xu Xing. Im Jahr 2009 führt der chinesische Paläontologe erneut Ausgrabungen in Liaoning durch, dieses Mal allerdings nicht in den Kreidezeitformationen von Yinxian, sondern weiter westlich. Hier sind Ablagerungen eines urzeitlichen Sees erhalten, die vermutlich zwischen 161 und 151 Millionen Jahre alt sind, also aus dem späten Jura stammen.
Und in diesen Sedimentschichten entdeckt Xu das Fossil eines kleinen Dinosauriers, der einige Vogelmerkmale aufweist, darunter erstaunlich lange Vorderflügel mit gut ausgebildeten Schwungfedern. Zudem zeigt die Versteinerung aber auch stark gefiederte Hinterbeine, die ähnlich wie bei Microraptor, ein zweites Flügelpaar bilden.
Gefiederter Dino lebte vor Archaeopteryx
Xu tauft den nur 34 Zentimeter kleinen Dino „Anchiornis huxleyi“ – „Anchiornis“ für „Fast-Vogel“ und „huxleyi“ zu Ehren von Thomas Huxley, den Zeitgenossen Darwins, der erstmals eine enge evolutionäre Verbindung zwischen Dinosauriern und Vögeln postulierte. Jetzt, fast genau 150 Jahre nach Huxley, scheint Anchiornis endlich das Beweisstück zu liefern, das so lange fehlte: Den Beleg, dass es schon vor Archaeopteryx Dinosaurier gab, die vogelähnliche Merkmale entwickelt hatten und damit der Entwicklung der ersten Vögel den Weg bereiteten.
Genauere Analysen zeigen heute, dass Anchiornis phylogenetisch eng mit den kreidezeitlichen Dromeosauridae, aber auch mit dem Archaeopteryx verwandt ist. Der letzte gemeinsame Vorfahre aller drei war daher möglicherweise kaum älter als Anchiornis und könnte diesem auch äußerlich ähnlich gewesen sein. Xu jedenfalls hält es durchaus für wahrscheinlich, dass auch der gemeinsame Vorfahre der fortgeschrittenen Raubsaurier und der Vögel gefiederte Hinterflügel besaß, die später bei einigen wieder rückgebildet wurden.
Die Suche geht weiter…
Noch ist der gemeinsame Vorfahre, das letzte, ultimative Bindeglied, nicht gefunden, doch die Paläontologen kommen ihm immer näher. Xu Xing ist inzwischen in seine Heimat, die Xinjiang-Provinz im äußersten Nordwesten Chinas zurück gekehrt – nicht, weil ihn Heimweh plagt, sondern weil es dort äußerst vielversprechende Gesteinsformationen mit reichhaltigen Fossilienlagerstätten aus dem Jura gibt. Vielleicht, so hofft er, findet sich dort das seit eineinhalb Jahrhunderten ersehnte „Missing Link“…
Nadja Podbregar
Stand: 13.08.2010