Rajasthan im Jahr 1699: Als der junge Jai Singh II. den Thron von Amber besteigt, ist er erst elf Jahre alt. Doch was dem frischgebackenen Maharadscha an Lebenserfahrung fehlt, macht er schnell mit seiner enormen Wissbegierde und Intelligenz wett. Den Überlieferungen zufolge sprechen sich seine Klugheit und sein politisches Geschick sogar zum Großmogul Aurangzeb herum.
Dieser verleiht dem jungen Hindu-Fürsten den Ehrentitel Sawai, was so viel bedeutet wie „eineinhalb Mal über seine Zeitgenossen erhaben“. Dafür jedoch fordert der Mogul von ihm militärische Unterstützung im Krieg. Für Jai Singh ist dieser Kriegseinsatz vermutlich eine wenig erbauliche Erfahrung, zumal seine Truppen monatelang wegen heftigen Monsunregens festsitzen.
Wackelige Astrolabien
Doch in dieser Zeit kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung: Singh trifft den Gelehrten Pandit Jagannatha Samrat, der fortan zu seinem wichtigsten Lehrer wird. Mit ihm gemeinsam studiert der Maharadscha islamische Astronomieschriften und lernt den Umgang mit den in Arabien und Europa gängigen Astrolabien und Sonnenuhren.
Dabei jedoch fällt Jai Singh etwas auf: Viele der in den astronomischen Tabellen verzeichneten Zeiten und Positionen der Himmelskörper stimmen nicht hundertprozentig mit seinen eigenen Messungen überein. Sind die die bronzenen Instrumente ungenau? Nähere Untersuchungen bestätigen den Verdacht des wissbegierigen Fürsten: Die weiche Bronze dieser Messgeräte hat mit der Zeit nachgegeben, so dass die Instrumente ausleierten und dadurch ungenau geworden sind. Wegen der geringen Größe der Sonnenuhren ist es zudem schwer, präzise Messungen durchzuführen.
Präzision durch Größe
In Jai Singh reift ein Plan heran: Er will astronomische Instrumente konstruieren, die haltbarer und präziser sind als alle bisher gängigen. Denn für ihn als Hindu ist die genaue Himmelsbeobachtung integraler Teil seiner Religion und Lebensweise. Schnell wird Singh jedoch klar, dass die nötige Präzision nur auf einem Wege zu erreichen ist: Die Sonnenuhren und Sternwarten müssen aus stabilem Stein errichtet sein und gleichzeitig so groß, dass selbst kleinste Einheiten auf den Messskalen Platz haben.
Passende Vorbilder für solche steinernen Himmels-Observatorien gibt es bereits: Um 1260 ließ Hülegü, der Bruder von Kublai Khan, für seinen Hofastronomen eine Sternwarte in Maragha im heutigen Nordwesten des Iran errichten. Das Observatorium Rasad-e Khan entwickelte sich schnell zu einem überregional bedeutenden Zentrum der Gelehrsamkeit, das selbst christliche und chinesische Astronomen anzog.
Angelehnt an diese Sternwarte erbaute Uleg Beg, ein Nachfahre des Mongolenfürsten Timur, um 1428 in der Nähe der Stadt Samarkand eine ähnliche Anlage. Mithilfe des 36 Meter langen Sextanten vermaßen die dortigen Astronomen die Position von fast 1.000 Sternen bis auf wenige Bogensekunden genau. Die Jahreslänge ermittelten sie mit einer Abweichung von weniger als einer Sekunde – eine beeindruckende Leistung.
Doch Jai Singh will mehr: Seine Observatorien sollen diese Vorbilder an Größe, Zahl der Instrumente und Bedeutung weit übertreffen.
Nadja Podbregar
Stand: 15.09.2017