Mit dem Fall Karthagos beginnt eine neue Ära – für die Römer ebenso wie für die Vandalen. Denn jetzt herrschen die „Barbaren“ über weite Teile des römischen Nordafrika. Am 19. Oktober 439 erklärt sich der Vandalenherrscher Geiserich offiziell zum „König der Vandalen und Alanen“ und macht Karthago zur Hauptstadt seines neuen Königreichs. Die einstigen Plünderer und „Barbaren“ werden damit nun zu Herrschern über eine der reichsten Provinzen Roms – und bleiben es für mehr als 100 Jahre.
Römische Lebensart statt „Vandalismus“
Die Vandalen wissen ihren Standortvorteil zu nutzen: Sie enteignen die römischen Großgrundbesitzer, übernehmen Schlüsselpositionen in der Verwaltung und Politik und lassen nun die Bauern und Sklaven dieser Provinzen für sich arbeiten. Schnell assimilieren sich die einstigen Germanen und übernehmen die römische Lebensart mit all ihren Annehmlichkeiten. Sie leben in römischen Villen, baden in Thermen und speisen feinste Kost. Auch neue Gebäude im römischen Stil sowie Werkstätten und „Fabriken“ errichten sie in Karthago und anderen Städten ihres Reichs.
Der römische Geschichtsschreiber Prokopios berichtet: „Ihre Tage verbringen sie in den Theatern wie im Zirkus, sie hören Musik, genießen Aufführungen und lieben Trinkgelage. Außerdem tragen sie reichen Goldschmuck und medische Gewänder.“ Von ihrer vandalischen Herkunft zeugen bald nur noch die germanischen Namen der neuen Elite, denn auch die Sprache und Schrift der Römer übernehmen die Vandalen sehr schnell. Auf Grabsteinen in Karthago aus dieser Zeit werden die vandalischen Toten mit kunstvollen lateinischen Gedichten gepriesen.
Kampf um Glaube, Geld und Macht
In einem Punkt aber bleiben die Vandalen ihren Ursprüngen treu: Sie bleiben Arianer und lehnen die katholisch-römische Staatskirche weiterhin strikt ab. Damit bricht für die einst so mächtigen Katholiken in Nordafrika eine harte Zeit an. Die Vandalen funktionieren ihre Kirchen zu arianischen Gotteshäusern um, viele Geistliche werden vertrieben oder getötet.
Doch diese Unterdrückung der Katholiken ist mehr als nur ein Konfessionskrieg – es geht auch um Macht und Politik: „Das Interesse des vandalischen Königs war es, die arianische Kirche zu stärken und die katholische mit ihren überseeischen Verbindungen als ständige Bedrohung des Systems zu schwächen“, erklärt der Vandalenforscher Roland Steinacher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der britische Historiker Andy Merrills sieht hinter den Angriffen der Vandalen auf den Klerus auch finanzielle Motive: Sie wollten deren reiche Schätze.
Ein historischer Vertrag
Für die Herrscher Roms ist die Übernahme Nordafrikas durch die Vandalen eine echte Katastrophe. Ihre Kornkammer und eines ihrer wichtigsten Handelszentren sind nun in den Händen der „Barbaren“. Und nicht nur das: Mit der Stadt Karthago hat Geiserich auch fast die gesamte Nordafrika-Flotte der Römer in seiner Gewalt. Schon kurz nach Gründung seines Königreichs nutzt er diese, um Sardinien, Korsika, Malta, die Balearen und Teile Siziliens zu erobern – wieder fast ohne Gegenwehr.
Dem römischen Kaiser Valentinian III. bleibt keine Wahl: Weil er die Vandalen nicht besiegen kann, muss er notgedrungen mit ihnen Frieden schließen – nur so kann er die Versorgung Roms mit Getreide und anderen Waren weiterhin sicherstellen. Im Jahr 442 kommt es dabei zu einer historischen Premiere: Erstmals macht ein römischer Kaiser ein Barbarenvolk nicht nur zu Foederati, sondern überlässt ihnen römisches Territorium als ein eigenes, nahezu unabhängiges Königreich.
„Der Vertrag von 442 ändert vieles und man kann ihn als den Beginn einer neuen, souveränen Regierung in den afrikanischen Provinzen sehen – eine politische Lösung, die es bisher in dieser Form noch nie gegeben hatte“, erklärt Steinacher. Und noch etwas sichert Valentinian III. dem Vandalenkönig Geiserich zu: Er verspricht Geiserichs Sohn Hunerich seine damals erst siebenjährige Tochter zur Frau. Damit stehen Vandalenkönig und römischer Kaiser nahezu auf Augenhöhe.
Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018