Wer heute schwäbische Städte wie Sigmaringen, Ravensburg oder Biberach mit ihren malerischen Burgen, Schlössern und Türmen besucht, kommt wohl kaum auf die Idee, dass dort vor langer Zeit einmal „eisige“ Verhältnisse geherrscht haben könnten. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn während mehrerer Kaltzeiten deckte ein aus den Alpen kommender gigantischer Eisstrom die Region mit einem dicken Eispanzer zu: der Rheingletscher. Im Vergleich zu ihm wirkt selbst der heute flächenmäßig größte und längste Gletscher der Alpen, der Aletsch, wie ein Winzling.
Gletscher schüttet Donau zu
Seine größte Ausdehnung besaß der Rheingletscher während der Riß-Kaltzeit, die vor rund 400.000 Jahren begann und bis vor rund 130.000 Jahren andauerte. „In mehreren großen Teilzungen stieß das Eis ausgehend vom Bodenseebecken, nach Westen bis zum mittleren Hochrhein und nach Norden bis auf die südliche Schwäbische Alb vor. Dadurch wurde die Donau bei Sigmaringen verschüttet und das obere Donautal zeitweise in einen Eisstausee verwandelt“, geben Geowissenschaftler um Joachim Eberle einen Einblick in die Dimensionen und die Wucht des Gletschervorstoßes.
Fast genauso weit schaffte es der Rheingletscher nach den Erkenntnissen von Glaziologen aber auch während der letzten Eiszeit. Während ihres Höhepunktes vor rund 20.000 Jahren bedeckte er erneut große Teile Süddeutschlands sowie der Schweiz und sorgte dabei für ein kurioses Landschaftsbild. Denn Berge, die höher waren als der zum Teil über 1.000 Meter mächtige Eisstrom, wurden einfach umflossen. Sie ragten anschließend wie überdimensionale „Bartstoppeln“ aus dem Gletschereis heraus.
Bodenseebecken und Hegauvulkane
Besonders dick war der Rheingletscher jeweils im heutigen Bodensee-Gebiet. Deshalb kam es dort auch zu den stärksten Abtragungen und die westliche Zunge des Rheingletschers schürfte mit der Zeit das Bodenseebecken aus. Doch nicht nur an dieser Stelle, sondern nahezu überall auf seinem Weg betätigte sich der Eisriese als Landschaftsarchitekt. Er formte bestehende Landschaften um und legte völlig neue an.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Hegau im Süden von Baden-Württemberg. Das dortige Vulkangebiet entstand zwar schon vor knapp 20 Millionen Jahren, sein aktuelles Aussehen erhielt es aber weitgehend durch die „Arbeit“ des Rheingletschers. Denn dessen Eismassen schmirgelten das weiche Gestein und viele der abgelagerten Sedimente nahezu vollständig ab. Übrig blieben schließlich nur noch die harten Füllungen der Vulkanschlote, die der Landschaft heute ihr typisches Aussehen geben.
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„Die steile Ostflanke des Hohentwiel war dem Gletscher zugewandt und wurde stärker durch Eis und Schmelzwässer erodiert als die leeseitige Westflanke“, beschreiben die Autoren von „Deutschlands Süden“ die Entstehungsgeschichte des vielleicht markantesten Bergs der Region.
Seeausbruch sorgt für Donauverkürzung
Die Geowissenschaftler haben aber auch noch an anderer Stelle wichtige Indizien für das Wirken des Rheingletschers gefunden. Denn im Raum Riedlingen südlich der Schwäbischen Alb existieren Indizien für ein Naturereignis der besonderen Art: der Ausbruch eines durch den Rheingletscher gespeisten Sees.
„Die dabei entstandene Flutwelle riss mehrere Kubikmeter große Blöcke aus tertiären Süßwasserkalken kilometerweit talabwärts. Solche extremen Ereignisse haben mit Sicherheit wesentlich zu Veränderungen der Flussläufe beigetragen. Im Fall des Seeausbruchs von Riedlingen wurde durch die Flutwelle wahrscheinlich die Laufverkürzung der Donau zwischen Munderkingen und Ulm vollzogen“, so die Forscher um Eberle.
Stand: 24.09.2010