„Hier, wo der Gletscher seinen Fußabdruck hinterlassen hat, könnte man die Geschichte mit ‚Es war einmal…‘ beginnen“, erklärt Miroslaw Lewicki, Geopark-Ranger im Muskauer Faltenbogen. Denn der Ursprung dieser Landschaft an der Ostgrenze von Südbrandenburg und Nordsachsen liegt 340.000 Jahre zurück. Damals kühlt sich das Klima in Europa so stark ab, dass Gletscher bis weit nach Mitteleuropa vorrücken. Die Elster-Kaltzeit, die erste und größte von drei großen Kaltzeiten in Europa, beginnt.
Feuerstein und Gletscherzunge
Die aus dem Norden vorstoßenden Eismassen sind mehrere hundert Meter dick und bilden eine lappige Front, die sich immer weiter nach Süden bewegt. Die maximale Ausdehnung der Gletscher ist bis heute an der sogenannten Feuersteinlinie erkennbar. Sie ist gekennzeichnet durch Feuerstein-Brocken, die die Gletscher aus Nordeuropa bis nach Deutschland hinein mitgetragen und dann am Eisrand hinterlassen haben. Dieser erstreckt sich vom Harz Richtung Südosten bis zum Rand des Erzgebirges und in die Lausitz hinein.
In der Lausitz haben die Eisriesen wegen des flachen Geländes freie Bahn, dort stößt daher eine rund 20 Kilometer breite und 22 Kilometer lange Gletscherzunge besonders schnell vor. Mit bis zu zehn Kilometern pro Jahr schiebt sich dieser Muskauer Gletscher halbkreisförmig über die Landschaft. Die gewaltige Last des bis zu 500 Meter dicken Eises presst die Schichten des Untergrunds zusammen und knetet sie bis in eine Tiefe von rund 300 Metern regelrecht durch.
Gekippte Schichten: die Stauchendmoräne
Vor dem Eisrand des Gletschers wird der Untergrund hingegen gestaucht und aufgebrochen. Es entstehen große, gekippte Schollen, die wie Fischschuppen übereinander geschoben werden. Das Ergebnis ist ein 100 bis 180 Meter hoher Wall, der den Eisrand des Gletschers nachzeichnet – eine Stauchendmoräne. Sie ist eine der vollständigsten und am besten erhaltenen in Mitteleuropa.
Die gekippten und aufgefalteten Schichten der hufeisenförmigen Moräne geben der Landschaft und dem gesamten Geopark den Namen „Faltenbogen“. Allerdings hat die Stauchendmoräne des Muskauer Gletschers heute nicht mehr ihre vollständige Größe: Sie ragt heute nur noch bis zu 30 Meter aus der umgebenden Landschaft heraus, weil sie durch Gletschervorstöße in den beiden folgenden Kaltzeiten teilweise wieder abgetragen wurde.
Die Kraft des Wassers
An zwei Stellen ist das geologische Hufeisen sogar ganz durchbrochen. Die erste dieser Lücken klafft südlich von Groß Düben in der Stauchendmoräne. Diese zwei Kilometer breite, flache Lücke im Faltenbogen ist ein Gletschertor – ein vom Schmelzwasser des Eises in den Moränenwall gekerbter Abfluss. Nachdem sich das Schmelzwasser hinter dem Wall zunächst bis zu 50 oder sogar 100 Meter aufgestaute, wurde der Druck irgendwann so hoch, dass der natürliche Damm brach. Die Wassermassen strömten durch die Lücke und ergossen sich in die vor dem Gletscher liegende Ebene.
Die zweite Lücke im Faltenbogen liegt bei Bad Muskau. Sie entstand, als sich der Fluss Neiße durch das aufgefaltete Gestein hindurch fraß. Die Kraft des Wassers hinterließ ein rund 20 Meter tiefes, steilwandiges Tal, an dessen Grund sich noch heute der Fluss entlangschlängelt.