Im Sommer 1982 suchte ein Mann den Schlafforscher Perez Lavie in Tel Aviv auf, der seit einer Kriegsverletzung unter schweren Alpträumen litt. Im Schlaflabor sollten die Wissenschaftler seinem Leiden auf den Grund gehen.
Der Mann ohne Träume
Doch bei der Beobachtung seiner Hirnströme staunten sie nicht schlecht: Y.H. erlebte während der gesamten Nacht keinen REM-Schlaf – etwas, das die Schlafforschung bis dahin für absolut unmöglich gehalten hatte. Lavie beschreibt seine Verblüffung so: „Ich sagte ihm, wenn er tatsächlich keinen REM-Schlaf habe, sei das ungefähr so, als würde ein Kardiologe versuchen, den Herzschlag eines Patienten abzuhorchen und dabei feststellen, dass er keinen hat!“
Neugierig geworden, durchleuchteten Lavie und seine Kollegen das Gehirn des Mannes mithilfe der Computertomographie, um dort nach möglichen Verletzungen zu fahnden. Und dabei wartete schon die zweite Überraschung auf sie: Ein kleiner Granatsplitter hatte sich in die Brücke (Pons), eine Struktur des Hirnstamms gebohrt – in eine Region, die schon zuvor im Verdacht stand, für die Auslösung des REM-Schlafs zuständig zu sein.
Die „Brücke“ als Schlüssel?
Schon Anfang der 1960er Jahre hatte der französische Neurophysiologe Michel Jouvet festgestellt, dass die Pons bei Katzen immer in einer bestimmten Schlafphase aktiv war: Immer dann, wenn sie in eine Phase der Schlaflähmung fielen – vergleichbar der unseres REM-Schlafs. Zerstörte er dagegen die Nervenzellen in diesem Bereich des Hirnstamms, verschwand die Muskellähmung und auch die typischen raschen Augenbewegungen blieben aus.
Dass Jouvets Lokalisierung des REM-Zentrums auch auf den Menschen übertragbar war, konnten – dank des Granatsplitters – allerdings erst Lavie und seine Kollegen nachweisen.
Chemische Boten des Schlafes
Doch neben den über die Hirnströme entdeckten Signalen spielen auch chemische Botenstoffe, die Neurotransmitter, eine wichtige Rolle für Schlaf und Traum: Wieder war es Jouvet, der hier durch seine Arbeiten die Grundlagen schuf. Er entdeckte im Hirnstamm eine Ansammlung von Nervenzellen, die so genannten Raphe-Kerne, die besonders viel Serotonin enthielten und dieses an ihre Umgebung abgaben. Wurde bei Versuchstieren auf chemischen Wege die Serotonin-Ausschüttung blockiert oder wurden die Raphe-Kerne zerstört, schliefen diese nur noch kurz, unruhig oder überhaupt nicht mehr und auch REM-Schlaf kam nicht mehr vor.
Damit wir im REM-Schlaf bleiben und träumen können, muss jedoch ein weiterer Neurotransmitter seine Arbeit tun, das Acetylcholin. Zwei Schlafforscher des US-National Institute of Mental Health testeten diese Annahme, indem sie Versuchspersonen kurz nach dem Einschlafen das dem Acetylcholin verwandte Arecholin injizierten und den anschließenden Schlafverlauf beobachteten. Die Hirnströme zeigten deutlich, dass alle Probanden mit Arecholin viel früher in den Traumschlaf eintauchten, als normalerweise üblich. Im Gegenzug konnten die Forscher durch eine Injektion des Acetylcholin-Hemmers Scopolamin den Eintritt des REM-Schlafs und damit der Traumphase erheblich verzögern.
Auch wenn nach wie vor viele Fragen offen bleiben, hat sich heute die Annahme etabliert, dass Acetylcholin erzeugende und -sensible Zellen in der Brücke des Hirnstamms wahrscheinlich als Anschalter für den REM-Schlaf fungieren. Ausgeschaltet wird der Traumschlaf dagegen, wenn benachbarte Zellen aktiv werden, die Noradrenalin und Serotonin erzeugen.