Wir schreiben das Jahr 1909. Am Rockefeller Institute of Medical Research in New York hat der junge Biologe und Arzt Peyton Rous gerade seine Arbeit aufgenommen, als er Besuch von einem Bauern erhält. Unter dem Arm trägt dieser einen Behälter mit einem krebskrankes Küken darin. Das Tier, ein gestreiftes Plymouth-Rock-Huhn hat einen großen, bösartigen Bindegewebstumor auf der rechten Brustseite, ein Sarkom.
Rous, der in dem noch jungen Gebiet der Krebsforschung arbeitet, nutzt die Chance und führt mit dem Küken und seinem Tumor eine Reihe von Untersuchungen durch. Dabei kommt er auf die Idee, aus dem befallenen Gewebe einen Extrakt herzustellen, diesen zu filtrieren, um ihn zellfrei zu machen und das Ganze schließlich jungen Küken derselben Hühnerrasse zu injizieren. Das Ergebnis dieses für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Experiments ist verblüffend: Die gesunden Tiere entwickeln plötzlich ebenfalls bösartige Tumore derselben Art.
Rous schließt daraus, dass in diesem Extrakt ein winziger Erreger enthalten sein muss, der den Tumor auslöst, er tippt auf einen parasitären Organismus, vielleicht einen der gerade neu entdeckten Viren. Um die Vermutung zu erhärten, versucht Rous, auch andere Hühnertumoren auf diese Weise zu übertragen – mit Erfolg. 1910 veröffentlicht er seine Ergebnisse und seine Hypothese eines krebserregenden Virus und löst damit eine wahre „Tumorextraktwelle“ aus.
Im Abseits
Doch alle Versuche, auf diese Weise auch bei anderen Tierarten Wucherungen zu erzeugen, schlagen fehl. Schnell gerät Rous damit ins wissenschaftliche Abseits und seine Virentumore in den Ruch, eine nur bei Hühnern vorkommende Abnormität zu sein. „Die Ergebnisse zum Sarkoma-Virus stießen auf absoluten Unglauben“, erzählt Rous 1966 in seiner Rede anlässlich der Nobelpreisverleihung. „Dabei gelang es kurze Zeit später, auch andere morphologisch unterschiedliche „spontane“ Hühnertumore durch Transplantation zu erzeugen, bei denen in jedem einzelnen ein Virus nachgewiesen werden konnte.“
Selbst als in den 1930er Jahren ein Kollege von Rous, Richard Shope, dann doch ähnliche Ergebnisse mit einem Extrakt aus einem gutartigen Hauttumor, einem Papillom, aus der Haut einer Wildkaninchenart erzielt, werden die Resultate als nicht für Krebs relevant abgetan.
„Milchfaktor“ statt Viren
Die vorherrschende Lehrmeinung, nach der Krebs allenfalls eine erbliche oder aber umweltbedingte Komponente besitzt, keinesfalls aber durch Viren oder anderer Erreger hervorgerufen werden kann, erweist sich als absolut resistent gegenüber Neuerungen. Nach dem Motto: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ werden alle Ideen zu Krebsviren abgeschmettert und als unseriös diskreditiert. Ein von der obersten amerikanischen Gesundheitsbehörde eingesetzter Sachverständigenrat gibt in den 1930er Jahren sogar offiziell den Leitsatz aus, dass Viren und andere Erreger als Krebsursachen ausgeschlossen werden können.
Von diesem Klima eingeschüchtert, traut sich kaum ein Forscher, Belege für die Existenz von Krebsviren zu veröffentlichen. Ende der 1930er Jahre entdeckt ein am größten Krebsforschungsinstitut der USA arbeitender Forscher, John Bittner, bei Mäusen einen über die Muttermilch übertragenen Virus, der Brustkrebs auslöst. Doch aus Angst um seine Stelle und weitere Foschungsgelder meidet er in seiner Publikation jeden Hinweis auf ein Virus und bezeichnet den Erreger stattdessen neutral als „Milchfaktor“.
Die Wende
Der große Umschwung und mit ihm die Rehabilitation der Krebsviren-Forscher findet erst Ende der 1950er Jahre statt. Zwei Faktoren lösen diese Wende aus: Virologen zu diesem Zeitpunkt entdeckt, dass bestimmte Viren Teile ihres genetischen Materials in das Genom der Wirtszelle einschleusen können. Sie verändern dadurch die Zellen dauerhaft, ohne sie jedoch zu zerstören. Zum anderen haben inzwischen so viele Wissenschaftler in ihren Experimenten Tumorviren nachgewiesen, dass sich die unbequeme Wahrheit nicht mehr ignorieren lässt.
Das Dogma der strikten Trennung von Krebs auf der einen Seite und durch Viren oder andere Erreger hervorgerufenen Infektionen auf der anderen Seite fällt. Rund zehn Jahre später, 1966 wird Peyton Rous für seine Pionierarbeit – und seine Beharrlichkeit – belohnt: Er erhält den Nobelpreis für Medizin und der von ihm entdeckte Virus wird ihm zu Ehren Rous-Sarkoma-Virus benannt..
Stand: 15.10.2004