„Unser Forschungsobjekt steckt hier drin“, sagt Thorsten Dittmar und deutet vor sich auf den Tisch. Dort steht ein gläserner Messkolben, fast bis zum Rand gefüllt mit Wasser. Dittmars Büro auf dem Campus der Uni Oldenburg ist lichtdurchflutet, aber trotzdem lässt sich in dem Behälter bis auf gewöhnliches Wasser nichts erkennen. Die Spur einer Trübung vielleicht – mehr nicht. „Genau ein Liter Nordseewasser, voll mit einzelligen Organismen“, fährt er fort, „insgesamt etwa eine Milliarde. Ein paar Algen, hauptsächlich aber Bakterien.“ Damit leben in nur sieben Litern Meerwasser so viele Einzeller wie auf der Erde Menschen.
Jede Menge gelöstes organisches Material
Thorsten Dittmar interessiert sich aber weniger für all die Mikroorganismen in seinem Messkolben als vielmehr dafür, was sie fressen – oder nicht fressen: gelöstes organisches Material, also wasserlösliche, kohlenstoffhaltige Moleküle in allen Variationen. Ein Milligramm, nicht mehr als ein Krümel Pulverkaffee, schwimmt davon unsichtbar im Messkolben. Das klingt wenig, rechnet man aber den darin gebundenen Kohlenstoff auf das Gesamtvolumen aller Ozeane hoch, kommt man auf unvorstellbare 700 Milliarden Tonnen. So viel Kohlenstoff enthalten weltweit alle lebenden Organismen zusammen.
Hauptquelle des gelösten organischen Materials ist das Fotosynthese betreibende Plankton im Meer: Algen und Bakterien, die während ihres Wachstums kontinuierlich Stoffwechselprodukte ins Wasser abgeben. Diese Moleküle werden auch frei, wenn pflanzliches von tierischem Plankton gefressen oder durch Viren zerstört wird. Bakterien wiederum, die ohne Fotosynthese auskommen müssen, dient das gelöste Material als Nahrung.
Einzigartige Diversität
Schwimmen die gelösten organischen Stoffe im Meer, werden sie durch größtenteils unbekannte Prozesse vielfältig umgeformt. So kommt es zu einer schier endlosen Diversität: Nach Dittmars Schätzung treiben zwischen zehn und 100 Millionen verschiedene organische Substanzen im Ozean. „Nur etwa fünf Prozent dieses Materials lassen sich bekannten chemischen Strukturen zuordnen, etwa Aminosäuren, Zuckern, Fetten und einigen mehr. Die restlichen 95 Prozent sind völlig unbekannt“, sagt der Forscher.
Zwischen Bremen und Oldenburg
Im September 2008 begann Thorsten Dittmar deshalb damit, eine neue und ungewöhnliche Nachwuchsgruppe des Bremer Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie aufzubauen. Ungewöhnlich nicht nur, weil sie auf einem nahezu unbekannten Forschungsgebiet arbeiten sollte, sondern auch wegen ihres Standorts: an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg, eine Stunde Fahrzeit von Bremen entfernt.
Für die Max-Planck-Gesellschaft ist das ein einzigartiges Modell, denn keine andere ihrer Arbeitsgruppen ist komplett außerhalb des Mutterinstituts angesiedelt. Der Nutzen des Oldenburger Modells ist wechselseitig: Das mikrobiologisch ausgerichtete Max-Planck-Institut in Bremen profitiert von der langen geochemischen Tradition des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg – das wiederum seine eigene mikrobiologische Forschung mit jener der Bremer ergänzen kann. Dittmars Arbeitsgruppe selbst profitiert als Know-how-Schnittstelle gleich doppelt.
„Ich fühle mich wohl in Oldenburg“, sagt Thorsten Dittmar, der zuletzt in den USA an der Florida State University in Tallahassee geforscht hat. Kein Wunder, denn die Arbeitsgruppe marine Geochemie, die mit ihm allein begann, ist in weniger als drei Jahren auf heute insgesamt 16 Mitarbeiter angewachsen: ein deutliches Zeichen dafür, wie viel Forschungsbedarf auf diesem Gebiet besteht.
Nils Ehrenberg / MaxPlanckForschung
Stand: 26.08.2011