So imposant Megatherium americanum auch war, es gab im Laufe der Erdgeschichte vermutlich ein Riesenfaultier, das selbst diesen Koloss noch um einiges übertraf. Entdeckt wurden die ersten fossilen Überreste von Eremotherium eomigrans – so der wissenschaftliche Name des Tieres – von Geologen der Universität von Florida (UF) bereits im Jahr 1986. Nach und nach kamen im Kalkstein der Haile Steinbrüche im Norden des US-Bundesstaats Knochen dann sogar mehr als zwölf Skelette zum Vorschein.
Erst 14 Jahre später stellte sich jedoch heraus, dass diese zu einer bis dahin unbekannten Riesenfaultierart gehörten. Nach Angaben der Wissenschaftler um David Webb lebte die prähistorische Kreatur vor rund 2,2 Millionen Jahren und erreichte erstaunliche Ausmaße: Eremotherium eomigrans wog erstaunliche fünf Tonnen und reichte über fünf Meter in die Höhe. „Das ist ein riesiges, wundervolles Tier, das keinem der heute lebenden gleicht und dessen gewaltige Größe fast an einen Dinosaurier erinnert“, fasst Webb die Ergebnisse der Studie zusammen.
Mehr Finger und mehr Krallen
Die Art zeichnete sich den Paläontologen zufolge aber noch durch eine andere Besonderheit aus: Sie war erstaunlich primitiv. Die Forscher schließen dies aus den Hand- und Fußskeletten der Tiere. Als evolutionär fortschrittlich gilt dabei eine Reduktion der Finger- und Krallenzahl. Eremotherium eomigrans jedoch besaß statt vier Fingern mit insgesamt zwei oder drei Klauen wie viele andere ausgestorbene Riesenfaultiere, noch fünf Finger mit vier Klauen. Die größte davon war über 30 Zentimeter lang.
Die Wissenschaftler gehen davon aus Eremotherium eomigrans zu den ersten Arten gehörte, die vor rund drei bis vier Millionen Jahren die neu gebildete Landbrücke zwischen den Amerikas, den Isthmus von Panama, nach Norden überquerten. Von ihrer ursprünglichen Heimat in Südamerika gelangten die Tiere so auch in das Gebiet des heutigen „Sunshine State“. „Vor der Eiszeit trampelten die trägen Pflanzenfresser wie Elefanten-Herden durch Florida“, beschreibt Webb das eigentümliche Urzeit-Szenario vor Ort. Mit seinen furchteinflößenden Krallen schnitt Eremotherium eomigrans vermutlich Blätter von den Ästen und umschlang sie dann mit der Zunge um sie zu verspeisen.
Eremotherium eomigrans und Megatherium americanum sind in der Stammesgeschichte der Riesenfaultiere aber längst nicht die einzigen bekannten Arten. Paläontologen haben mittlerweile Fossilien von mehr als 80 Spezies in drei Tierfamilien identifiziert, die allesamt in der „neuen Welt“ zuhause waren.
Ein 17 Millionen Jahre altes „Mini-Riesenfaultier“
Gelegentlich gibt es noch immer aufsehenerregende Neuentdeckungen innerhalb der Vettern und Kusinen von Eremotherium und Megatherium. Dies hat zuletzt ein internationales Paläontologenteam um François Pujos, Gerardo De Iuliis und Bernardino Quispe gezeigt. Im September 2011 stellten die Wissenschaftler im „Journal of Vertebrate Paleontology“ ihren neuesten Fund vor: „Hiskatherium saintandrei“.
Dieses ausgestorbene Faultier wurde in 17 Millionen alten Gesteinsschichten in Bolivien ausgegraben, war allerdings deutlich kleiner als seine mächtigen Verwandten. Das schließen die Forscher aus einem Unterkieferfragment – dem einzig erhaltenen Überbleibsel des Urtieres. Der komplette Unterkiefer des Pflanzenfressers hätte problemlos in eine menschliche Hand passen, vermuten die Wissenschaftler.
Eine ebenfalls erhaltene Zahnreihe deutet daraufhin, dass Hiskatherium in der Lage war, selbst derbe Nahrung zu verarbeiten. Das Faultier könnte jedoch auch ein ziemlich wählerischer Esser gewesen sein und saftige Blätter bevorzugt haben. Genaueres über das Leben und das Aussehen von Hiskatherium saintandrei können die Paläontologen erst auf der Basis weiterer, umfangreicher Fossilfunde sagen – wenn es diese denn geben wird.
Dieter Lohmann
Stand: 10.02.2012