Klar scheint: Das Phänomen des Blindsehens hat etwas damit zu tun, wie die visuellen Reize vom Auge ins Gehirn gelangen – und welche Hirnareale daran beteiligt sind. Genau das aber ist das Problem, denn schon das normale Sehen ist komplizierter, als man lange annahm.
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Von der Netzhaut zur Sehrinde
Beginnen wir beim Auge: Fällt Licht auf die Netzhaut, senden die Sehsinneszellen ein Signal aus, dass über den Sehnerv in Richtung Gehirn geleitet wird. Soweit ist noch alles übersichtlich. Doch jetzt wird es kompliziert: Am sogenannten Chiasma opticum überkreuzen sich die Sehnerven, bei uns Menschen wechseln hier etwa die Hälfte aller Sehnervenfasern die Seite. Dadurch werden Signale aus der rechten Seite unseres Gesichtsfelds in die linke Hirnhälfte geleitet, die aus der linken Seite beider Augen in die rechte.
Nächste Station der nunmehr in beiden Gehirnhälften getrennten Sehbahn ist das Zwischenhirn: Etwa 90 Prozent der Sehsignale werden dort von einer Art Schaltstation in Empfang genommen, den seitlichen Kniehöckern (Corpus geniculatum laterale). Sie bereiten die visuellen Reize auf, verstärken beispielsweise Kontraste und leiten die meisten Signale dann an die primäre Sehrinde weiter. Erst dort entsteht aus dem Aktivitätsmuster der Gehirnzellen das Abbild des Gesehenen. Ein kleiner Teil der Signale wird jedoch vom Kniehöcker auch an untergeordnete Sehzentren geschickt, dort werden einige Informationen zur Farbe, Form oder der räumlichen Anordnung getrennt ausgewertet und erst dann in die primäre Sehrinde zurückgeschickt.