Die kurze Lebenserwartung der Eintagsfliegen ist geradezu sprichwörtlich. Doch werden diese Insekten tatsächlich nur einen Tag alt? Rein logisch betrachtet erscheint das unwahrscheinlich: Innerhalb eines so kurzen Lebens müssten die Fliegen aus dem Ei schlüpfen, bis zur Geschlechtsreife heranwachsen, sich paaren, das Weibchen müsste Eier legen, und bereits am nächsten Tag müsste die nächste Generation schlüpfen – ein volles Programm für einen einzigen Tag.
Fliegen ohne Mundwerkzeuge
Der Name der Eintagsfliegen, alteinisch Ephemeroptera, ist dennoch nicht unpassend gewählt. Denn die Lebensdauer der erwachsenen Tiere ist in der Tat nur äußerst kurz: Ausgewachsene Eintagsfliegen haben keine funktionierenden Mundwerkzeuge und keinen Verdauungstrakt. Sie existieren einzig und allein zur Paarung und Fortpflanzung, ganz wie im oben beschriebenen Leben im Schnelldurchlauf.
Nach erfolgtem Paarungsritual und Eiablage sterben sie in der Regel innerhalb eines Tages. Bei manchen Arten überleben die erwachsenen Eintagsfliegen sogar nur wenige Stunden, andere dagegen bis zu einer Woche. Die aus den Eiern schlüpfenden Larven haben allerdings viel mehr Zeit zum Heranwachsen: Sie verbringen rund zwei Jahre im Larvenstadium.
Während dieser Zeit leben sie jedoch im Wasser und haben äußerlich nichts mit ihren vergänglichen Eltern gemeinsam. Erst nach der abschließenden Metamorphose erscheinen sie wie Fliegen und verlassen das Wasser. So entsteht der Eindruck, dass die Eintagsfliegen insgesamt nur ein sehr kurzes Leben führen.
Lemminge: Massenselbstmord gegen Überbevölkerung?
Ein hartnäckiges Gerücht hält sich auch über die Lebenserwartung der Lemminge: Angeblich begehen diese im Norden Skandinaviens und Sibiriens lebenden Nagetiere regelmäßig Massenselbstmord. Immer wenn ihre Population zu groß wird, so die verbreitete Ansicht, machen sie sich in riesigen Scharen auf den Weg, um sich von Klippen in Flüsse oder ins Meer zu stürzen.
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Die Wahrheit ist viel weniger dramatisch. Zwar kommt es in der Tat bei einigen Lemming-Arten vor, dass sie sich mitunter explosionsartig vermehren. Dann kommt es zu Massenwanderungen, bei denen sich viele der Tiere auf die Suche nach weniger übervölkertem Lebensraum machen. Auf diesen Wanderungen durchschwimmen die Nager oft auch Flüsse, und einige kommen dabei zu Tode.
Hartnäckiges Gerücht aus einem Disney-Film
Doch die Tiere bringen sich nicht vorsätzlich um, um ihren Bestand zu senken, und stürzen auch nicht in blinder Massenpanik von Klippen. Außerdem kommen solche Massen-Ereignisse geschätzt nur alle dreißig Jahre vor. Von regelmäßigem Massenselbstmord kann also keine Rede sein.
Zum großen Teil verantwortlich für das falsche Bild von den selbstmörderischen Lemmingen ist der Disney-Film „White Wilderness“ aus dem Jahr 1958. In dieser Naturdokumentation zeigen die Filmemacher eine solche Massenwanderung mit tödlichem Ausgang. Der Haken dabei: Die angeblichen Szenen aus der Polarwildnis sind nachgestellt. Die Lemminge fallen nicht von einer Klippe in den Arktischen Ozean, sondern werden vom Filmteam in den Bow River in der Nähe von Calgary in Kanada geschubst.
Der Film stellt den Massenselbstmord der Lemminge nicht als absichtlich dar. Stattdessen spekuliert der Kommentator, die Nagetiere hielten den Ozean für einen See, den sie auf ihrer Wanderung durchschwimmen wollen. Dabei sterben sie schließlich vor Erschöpfung. Aus dieser Darstellung entstand schließlich die Legende von der Bevölkerungsexplosion der Lemminge mit anschließender Massenwanderung und tödlichem Ausgang.
Ansgar Kretschmer
Stand: 15.01.2016