Obwohl Deutschland nicht unmittelbar von der neuen Nabucco-Pipeline profitieren würde, ist die Bundesregierung doch ein Verfechter des Projekts – stellt es doch einen wichtigen Bestandteil der neuen Energiestrategie der Europäischen Union dar, die im Jahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 verabschiedet wurde.
Region im Focus
Ebenfalls unter deutschem Vorsitz hat die EU die Zentralasienstrategie verabschiedet, zu deren wichtigsten Punkten der Ausbau der Beziehungen im Energiebereich gehört. Deutschland hat von jeher gute Beziehungen zu den zentralasiatischen GUS-Ländern und genießt vor Ort hohes Ansehen.
Das Interesse an einer engeren Zusammenarbeit mit Zentralasien liegt deshalb nahe. Doch macht die Zentralasien-Strategie auch klar, welche Bedeutung die EU dieser Region heute beimisst. Die EU ist mit dieser Erkenntnis allerdings verhältnismäßig spät dran. Denn längst haben sich hier neben Russland und den großen multinationalen Energiekonzernen, die bereits kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre Claims absteckten, auch China und Indien in Stellung gebracht.
Schon spricht man von einem „Neuen Great Game“, das um die Region entbrannt sein soll, in Anlehnung an den Kampf der Kolonialmächte Russland und England, die im 19. Jahrhundert um die Vorherrschaft in Zentralasien kämpften.
Globaler Stellenwert
Ohne Frage hat Zentralasien energiepolitisch einen globalen Stellenwert. Es gehört zusammen mit Sibirien und den OPEC-Ländern am Persischen Golf zur so genannten „Strategischen Elipse“, in der ein Großteil der weltweiten Öl- und Gasreserven lagern.
Nach einer Erhebung des britischen Mineralölkonzerns BP aus dem Jahr 2008 hat Russland einen Anteil von 6,4 Prozent, Kasachstan von 3,2 Prozent und der Mittlere Osten einen Anteil von 61 Prozent der globalen Ölreserven.
Die größten Gasreserven lagern in Russland, 25,2 Prozent, Iran, 15,7 Prozent, und Katar, 14,4 Prozent. Die Erdgasreserven von Turkmenistan sind dagegen noch nicht vollständig kartiert und könnten noch einmal zu einer Neuberechnung der globalen Verteilung führen.
Reserven wie die OPEC
Vermutlich verfügt Zentralasien als einzige Region neben den OPEC-Ländern im Mittleren Osten über so genannte „giant fields“ mit mehr als einer Milliarde Barrel Öl oder „super giant fields“ mit mehr als fünf Milliarden Barrel. Die meisten dieser Felder sind jedoch noch nicht einmal erschlossen. Neben dem Mittleren Osten wird Zentralasien deshalb vermutlich als einzige Region weltweit in Zukunft die Fördermenge noch steigern können.
Das macht die Länder Zentralasiens zu gefragten Lieferpartnern, der EU, aber eben auch Chinas und Indiens. Laut einer Prognose der Internationalen Energie-Agentur IEA aus dem Jahr 2007 wird der Energiebedarf nur dieser beiden Länder in den nächsten Jahren um jährlich über drei Prozent steigen. Bis 2030 werden China und Indien zusammen für 45 Prozent der gesteigerten Energienachfrage verantwortlich sein.
EU kommt zu spät
Dass die EU in Zentralasien zumindest energiepolitisch zu spät dran sein könnte, zeigt auch ein weiterer Trend. Mit dem Anstieg der Öl- und Gaspreise in den letzten Jahren haben die ressourcenreichen Länder Zentralasiens zunehmend an Selbstbewusstsein gewonnen. Waren sie zu Beginn der 90er Jahre noch auf Investitionen aus dem Westen angewiesen, übernehmen die staatlichen Energiekonzerne wie Kazmunaigaz in Kasachstan jetzt zunehmend selbst die Kontrolle über die eigenen Ressourcen.
Die Länder Zentralasiens selbst bevorzugen seit ihrer Unabhängigkeit 1991 eine Multi-Vektor-Politik, keiner der großen internationalen Partner, Russland, EU, USA, China oder Indien, wird offen bevorzugt. Handelsbeziehungen, um Öl und Gas zu exportieren hält man sich in alle Richtungen offen. Dennoch sehen Experten die EU eher als benachteiligten Partner, der im Gegensatz zu den anderen Spielern zu häufig auf die Einhaltung der Menschenrechte besteht.
Kleiner Spieler im Great Game
Schlechte Karten also für die EU im neuen „Great Game“? Franco Algieri vom österreichischen Institut für Europa und Sicherheitspolitik ist das für zu hoch gegriffen. Anlässlich einer Konferenz zur Rolle Zentralasiens in Wien im März dieses Jahres sagte er: „Begriffe wie ,Großes Spiel‘ überfordern die EU. Sie könnte da nicht mitspielen. Sie kann höchstens ein kleines Spiel in ihrer Nachbarschaft mitmachen.“
Stand: 20.03.2009