Starkes Übergewicht und Adipositas sind keine Randerscheinung: In Deutschland gelten knapp ein Viertel der Menschen als fettleibig, ihr Body-Mass-Index liegt bei 30 und mehr. Übergewicht mit einem Body-Mass-Index von 25 und mehr betrifft hierzulande die Hälfte aller Frauen und 60 Prozent der Männer – Tendenz steigend. Gerade bei jüngeren Menschen nimmt die Häufigkeit von Adipositas in den letzten Jahren immer weiter zu.
Komplexe Ursachen, viele Folgen
Die Ursachen für starkes Übergewicht sind vielfältig. So können genetische Faktoren den Fettstoffwechsel beeinflussen, das natürliche Sättigungsgefühl herabsetzen oder das Hungergefühl fördern. Bestimmte Anhänge an unserer DNA beeinflussen zudem, ob wir Couchpotatos sind oder gerne körperlich aktiv. Auch vorgeburtliche Einflüsse, Hormone und psychische Faktoren spielen für die Entstehung von Übergewicht eine Rolle. Die wahrscheinlich wichtigste Ursache ist allerdings schlicht unsere moderne Lebensweise: Wir bewegen uns im Alltag zu wenig und essen zu viel und das Falsche.
Das Problem dabei: Starkes Übergewicht ist mehr als nur eine Äußerlichkeit: Wer unter Adipositas leidet, muss nicht nur mit Einschränkungen seiner Lebensqualität zurechtkommen, die Fettleibigkeit ist auch gesundheitlich riskant. Betroffenen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige Krebsarten. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Fettleibigkeit auf Dauer auch dem Gehirn schadet und das Demenzrisiko erhöht.
Hinzu kommt, dass stark übergewichtige Menschen oft diskriminiert werden: Sie gelten als weniger leistungsfähig, als unfähig zur Selbstdisziplin und haben Nachteile beispielsweise bei der Jobsuche. Schließlich, so die oft vorherrschende Meinung, brauche man ja bloß Diät zu halten und sich mehr zu bewegen, um die überschüssigen Pfunde wieder zu verlieren: „Der Kern der Stigmatisierung besteht darin, dass man den Menschen mit Adipositas zuschreibt, sie seien selbst an ihrem Übergewicht schuld und sie müssten sich doch einfach nur ein bisschen anstrengen, dann würde das alles schon wieder“, sagt Anja Hilbert, psychologische Leiterin der Adipositasambulanz am Universitätsklinikum Leipzig.
Vergeblicher Kampf gegen die Pfunde
Doch das stimmt nicht: Menschen mit starkem Übergewicht haben es deutlich schwerer, durch die klassischen Maßnahmen abzunehmen. Wer es schafft, dauerhaft seine Ernährung und Lebensweise umzustellen, hat zwar gute Chancen – aber genau das gelingt nur den wenigsten. Die meisten Betroffenen versuchen zwar immer wieder, gegen ihre Pfunde anzukämpfen und schaffen dies zunächst auch. Doch nach vorübergehendem Abnehmerfolg kehrt das Übergewicht wieder zurück – durch den Jojo-Effekt oft stärker als vorher.
Laut einer Erhebung aus dem Jahr 2015 schafft es im Schnitt nur eine von 124 übergewichtigen Frauen, auf Normalgewicht zu kommen, bei Frauen mit Adipositas ist es nur eine von 677. Bei Männern sieht es sogar noch schlechter aus: Übergewichtigen schafft es nur einer von 210, bei stark Fettleibigen sogar nur einer von 1.290 Betroffenen.
Der Körper arbeitet gegen das Abnehmen
Ursachen dafür sind keineswegs nur mangelnde Disziplin, sondern auch biologische Faktoren. So legen Studien nahe, dass die hormonelle Steuerung von Hunger- und Sättigungsgefühl bei stark Übergewichtigen aus dem Gleichgewicht geraten ist. Auch die veränderte Darmflora der Betroffenen trägt dazu bei, den Appetit anzuheizen und den Jojo-Effekt zu begünstigen.
Und selbst Sport bringt bei stark übergewichtigen Menschen weniger fürs Abnehmen als bei schlanken, wie eine Studie im Jahr 2021 belegte. Zwar verbrennt jeder Mensch bei intensiver körperlicher Bewegung mehr Kalorien als in Ruhe. Bei Menschen mit Adipositas regelt sich dabei aber der Grundumsatz herunter und gleicht dadurch einen Teil dieses Mehrumsatzes wieder aus. Im Schnitt wird dadurch von jeder mehr verbrannten Kalorie die Hälfte wieder eingespart. „Der Körper von Menschen mit Adipositas ist offenbar besonders effektiv darin, die Fettreserven festzuhalten“, erklärt John Speakman vom Shenzhen Institut für Technologie.
Adipositas ist eine Krankheit
All dies illustriert, dass Adipositas mehr ist als nur ein Problem der Selbstdisziplin oder Ernährung – es ist eine Erkrankung. Vielen Betroffene haben ohne Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie oder auch medizinischen Maßnahmen nur wenig Chancen, dem Teufelskreis aus Abnehmversuchen und Jojo-Effekt zu entkommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat deswegen die Adipositas schon im Jahr 2000 offiziell als Krankheit eingestuft, in Deutschland hat der Bundestag diesen Schritt erst im Jahr 2020 beschlossen.
Das Problem jedoch: „Wir haben auf der einen Seite die Anerkennung von Adipositas als Erkrankung und eine riesige, riesige Menge von Patienten, die darunter leiden. Auf der anderen Seite werden Therapiemaßnahmen zur Adipositas nicht erstattet von den Krankenversicherungen“, erklärt Jens Aberle, Ärztlicher Leiter des Adipositas-Centrums am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Operation als letzte Hoffnung?
Und auch die Behandlungsoptionen waren bisher beschränkt. Wenn sogenannte „Lifestyle-Interventionen“ wie eine durch Verhaltenstherapie und Ernährungsberatung unterstützte Diät und Umstellung der Lebensweise nicht wirken, blieben auch Medizinern bisher wenig Optionen. Die bisher gängigen Abnehmpillen wirken kaum oder haben gravierende Nebenwirkungen wie ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme. Andere Maßnahmen wie ein implantierter „Magenschrittmacher“ sind erst in der Erprobung.
Menschen mit hochgradiger, hartnäckiger Adipositas blieb daher meist nur noch ein radikaler Schritt: die Magenverkleinerung. Dabei wird ein Teil des Magens chirurgisch entfernt oder abgeklemmt, was wodurch das Völlegefühl früher einsetzt und auch die Aufnahme der Nährstoffe verringert wird. „Mit diesem Verfahren nehmen die Patienten etwa 20 bis 30 Prozent ihres Ausgangsgewichts ab“, erklärt Hilbert. Allerdings bringt diese Maßnahme wie alle Operationen ein erhebliches Risiko mit sich – und sie funktioniert nicht bei allen Betroffenen auch auf Dauer. „Die meisten behalten das sehr gut bei, einige aber auch nicht. Und bis zu 15 Prozent haben einen unzureichenden Gewichtsverlust“, so die Forscherin.
Doch jetzt gibt es erstmals eine echte Alternative zur Magen-OP.