September 1970, südlich von Mallorca. An Bord des Bohrschiffs Glomar Challenger wartet eine bunte Mischung von Forschern, Technikern und Seeleuten gespannt auf den entscheidenden Moment: Die Bergung eines Bohrkerns aus den Tiefen des Mittelmeers. Sie alle gehören zur 13. Expedition des Deep Sea Drilling Program (DSDP), einem internationalen Projekt zur Erkundung des Meeresbodens. Langsam heben die Winden und Kabel im Turm des Schiffs das Bohrgestänge in die Höhe. Schließlich kommt der Bohrkern zum Vorschein. Vorsichtig wird er auf Deck abgelegt und dann in das Labor getragen.
Rätselhafte Salzablagerungen
Die Forscher um William Ryan vom Lamont-Doherty Geological Observatory in New York und Kenneth Hsü von der ETH Zürich öffnen die Bohrkernhülle und untersuchen das Gestein, das der Bohrer aus mehr als 359 Metern Tiefe unter dem Meeresboden emporgefördert hat. Ähnlich wie schon an drei anderen Stellen im Mittelmeer sind vor allem die unteren Teile des Kerns fast vollständig mit hartem, weißlichem Anhydrit gefüllt. Dieses kristalline Mineral aus Kalziumsulfat entsteht normalerweise dann, wenn Meerwasser bei warmen Temperaturen verdunstet, beispielsweise in flachen Salzseen mancher Wüsten. Irgendwann wird diese Salzbrühe dann so konzentriert, dass dieses Salz auskristallisiert.
Das Problem dabei: Dieser Anhydrit stammt vom Grund des Mittelmeeres – und liegt stellenweise unter hunderten Metern Wasser und weiteren hunderten Metern Sediment. Zudem, das zeigen Sonarmessungen, ist diese rätselhafte Schicht extrem mächtig, teilweise bis zu 2.000 Meter dick. Wie aber kann sie dorthin gekommen sein – meilenweit von Luft und Sonne entfernt? Verdunstung findet dort, wo dieses Gestein heute liegt, bestimmt nicht mehr statt. Die Gesteine stammen allerdings auch nicht aus der heutigen Zeit, sondern sie sind, wie Datierungen zeigen, rund sechs Millionen Jahre alt.
Typisches Verdunstungsmuster
Ryan, Hsü und ihre Kollegen bleiben dem Rätsel auf der Spur und entnehmen noch an weiteren Stellen im Mittelmeer Bohrkerne. Doch egal ob vor der Küste Spaniens, vor Sizilien, Kreta oder vor der Mündung des Nils – überall stößt der Bohrer auf das harte weiße Anhydrit. Darunter und teilweise auch als Adern dazwischen liegen immer wieder auch Schichten von Dolomit, einem magnesiumreichen Karbonatgestein, das sich ebenfalls bei Verdunstung von Meerwasser absetzt. In Bohrkernen aus den tiefsten Stellen des Mittelmeeres stoßen die Forscher sogar auf halbtransparentes Steinsalz – ein Mineral, das nur dann entsteht, wenn salziges Wasser nahezu vollständig verdunstet.
„Die geografische Verteilung dieser Evaporitgesteine ist ziemlich auffallend“, konstatieren die Forscher schließlich: Am Rand des Mittelmeers, in den flacheren Meeresbereichen, finden sich vorwiegend Karbonatgesteine. Weiter innen liegen auf diesen Kalkgesteinen Schichten aus Anhydrit. Im Zentrum des Mittelmeerbeckens schließlich, dort, wo es am tiefsten ist, liegt auf diesen beiden Schichten noch eine dicke Decke aus Steinsalz. Diese Abfolge aber ist so typisch, dass sie jeder Geologe kennt. Denn genau in dieser Reihenfolge setzen sich die Mineralien ab, wenn ein Meerwasser-Tümpel oder ein anderes vom Ozean abgeschnittenes flaches Salzwasserbecken bei größerer Wärme verdunstet.
Für die Forscher war damit klar: Etwas Dramatisches muss vor rund sechs Millionen Jahren geschehen sein. Etwas so Außergewöhnliches, dass es das gesamte Mittelmeer – das immerhin 3,7 Millionen Kubikkilometer Wasser fasst – vollkommen austrocknen ließ. Aber was?
Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013