Ende November 2010, Washington: Die National Aeronautics and Space Administration der USA, kurz NASA, kündigt in einer kurzen Mitteilung eine Pressekonferenz für den 2. Dezember an. An diesem Tag soll eine sensationelle neue Entdeckung aus dem Bereich Astrobiologie präsentiert werden, die „die Suche nach Beweisen für extraterrestrisches Leben entscheidend beeinflussen wird“, so die NASA wörtlich.
Diese ebenso vielversprechende wie nebulöse Mitteilung gibt Anlass für die wildesten Spekulationen und Interpretationen und stößt deshalb innerhalb kürzester Zeit auf riesiges Interesse in den Medien sowie im Internet. Hat man in den Tiefen des Alls biologische Signaturen von Leben gefunden? Etwa auf einem der vielen neu entdeckten Planeten außerhalb des Sonnensystems? Oder sind die Wissenschaftler auf Zeichen außerirdischer Technologie gestoßen? Oder gar gleich auf Spuren von Aliens?
Spannung pur
Entsprechend groß ist die Spannung im proppenvollen Auditorium des NASA Hauptquartiers in Washington, als am 2. Dezember um 14 Uhr Ortszeit die Veranstaltung beginnt. Doch die Wissenschaftler um Mary Voytek, Direktorin des Astrobiologie-Programms der NASA, Felisa Wolfe-Simon vom U.S. Geological Survey aus Menlo Park, in Kalifornien und der per Telefon live zugeschaltete Professor James Elser von der Arizona State Universität sorgen zunächst einmal für Verwirrung.
Denn sie berichten nicht über spektakuläre Funde in fernen Welten und Galaxien, sondern über eine Entdeckung quasi direkt „um die Ecke“: im Mono Lake, einem über 180 Quadratkilometer großen Salzsee im U.S.-Bundesstaat Kalifornien. Und es geht auch nicht wirklich um Aliens, sondern um eine winzige Mikrobe mit dem kryptischen Namen GFAJ-1, die unter dem Mikroskop entfernt an ein Reis- oder Weizenkorn erinnert. „Und das soll nun die astrobiologische Sensation aus der Pressemeldung der NASA sein?“, fragen sich viele der im Auditorium Versammelten.
Eine Mikrobe der besonderen Art
Nach der ersten Enttäuschung, ziehen die Forscher und „ihr“ Bakterium aus dem Sediment des Mono Lakes dann aber doch die Jornalisten in ihren Bann. Denn GFAJ-1 ernährt sich nicht nur von Arsen – dies tun auch andere bereits bekannte Mikroben – sondern baut das hochgiftige Element auch an Stelle von Phosphor in seinen Stoffwechsel ein. Und zwar sogar in seine DNA, seine Proteine und seine Zellwände. Dies haben Laborexperimente der Forscher gezeigt.
Es ist damit der erste bekannte Organismus, der wenigstens zum Teil vom normalen Bauplan des Lebens abweicht, der auf den chemischen Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel und Phosphor beruht.
„Dieser Organismus hat offensichtlich doppelte Fähigkeiten: Er kann entweder mit Phosphor oder mit Arsen wachsen”, erklärt Paul Davies von der Arizona State Universität. „Das macht ihn sehr speziell, auch wenn es damit noch keine völlig fremde Lebensform mit anderem Ursprung und parallelem Stammbaum darstellt. Aber GFAJ-1 könnte ein Hinweis darauf sein, dass solche noch seltsameren Kreaturen existieren. Der heilige Gral wäre eine Mikrobe, die komplett ohne Phosphor auskommt.“ Und Felisa Wolfe-Simon ergänzt: „Wenn ein Organismus hier auf der Erde so etwas Unerwartetes tun kann, was kann Leben dann noch, dass wir bisher noch nicht gesehen haben?“
Ergebnisse mit großer Bedeutung für die Astrobiologie
Die Ergebnisse der neuen Studie sind nicht nur für die Evolutionsforschung auf der Erde oder die Mikrobiologie von großer Bedeutung, sondern werfen auch ein völlig neues Licht auf die Jagd nach extraterrestrischen Leben. Ed Weiler, einer der Verantwortlichen für die Planung wissenschaftlicher Exkursionen bei der NASA meint dazu: „Die Definition von Leben ist erweitert worden. Wenn wir in Zukunft nach Indizien für Leben im Sonnensystem und darüberhinaus suchen, müssen wir breiter denken, auch mannigfaltiger. Und wir müssen Leben in Betracht ziehen, wie wir es bisher überhaupt nicht kennen.“
Forschungslabor Mono Lake
Die vollmundige Ankündigung der NASA war demnach zumindest nicht völlig aus der Luft gegriffen. Aber warum haben die Forscher um Wolfe-Simon gerade im Mono Lake nach Mikroben wie dieser gesucht? Nun, der See liegt in einer abflusslosen Senke und ist deshalb nicht nur extrem salzhaltig, sondern besitzt auch einen ungewöhnlich hohen pH-Wert von 10 – und er enthält enorme Konzentrationen an Arsen. Wenn es also tatsächlich eine solche bisher als unmöglich geltende Lebensform geben sollte, dann hier. So zumindest die These der Wissenschaftler und sie behielten recht.
Dieter Lohmann
Stand: 11.02.2011