Pocken: weltweit ausgerottet. Kinderlähmung: in vielen Industrieländern weitgehend verschwunden. Masern, Diphterie, Röteln und Mumps: selten geworden. Die Erfolgsbilanz der Schutzimpfungen ist eigentlich eindeutig. Seitdem in Deutschland und anderen Ländern Kinder schon in frühem Alter gegen viele früher grassierende Krankheiten geimpft werden, sind sie bei uns selten geworden.
Siegeszug gegen Infektionen
Noch vor gut 50 Jahren war beispielsweise der Anblick von Kindern, die wegen Nervenschäden nach einer Kinderlähmung an Krücken gingen, keineswegs ungewöhnlich. Denn immer wieder führten lokale Ausbrüche der Poliomyelitis dazu, dass mehrere hunderttausend Menschen erkrankten – viele von ihnen so schwer, dass sie starben oder bleibende Schäden davontrugen. Heilbar war die von einem Virus ausgelöst Krankheit nicht. Eine Wende brachte erst die Einführung eines Impfstoffes Anfang der 1960er Jahre. Bereits wenige Jahre nach Beginn der Impfkampagnen sank die Zahl der Polio-Fälle in Deutschland um 99 Prozent.
Auch Kinder, die durch Mumps dauerhaft ertaubt oder unfruchtbar geworden sind oder bleibende Hirnschäden durch Komplikationen bei einer Masern-Infektion erlitten, gibt es bei uns kaum mehr. Denn die meisten Kinder sind heute gegen diese Infektionen geimpft. Und das mit gutem Grund: Denn auch diese vermeintlich harmlosen Kinderkrankheiten können in seltenen Fällen schwere bleibende Schäden auslösen und sogar zum Tod führen. Die Masern beispielsweise enden in immerhin einem bis drei von tausend Fällen tödlich. Ebenfalls rund jede tausendste Infektion führt zu einer schweren Hirnentzündung mit oft bleibenden Folgen.
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Schwere Folgen sind schnell vergessen
Aber vielleicht wirken die Impfungen sogar zu gut. Denn weil viele dieser Krankheiten nicht mehr oder nur in leichter Form auftreten, haben viele Menschen vergessen, wie gravierend sie sein können. Das zeigt auch eine Studie von Forschern der Centers for Disease Control in Atlanta. Demnach sinken die Impfraten immer dann, wenn es längere Zeit keine Ausbrüche oder Epidemien der betreffenden Krankheit gegeben hat. Denn dann rücke die Angst vor Nebenwirkungen in die Vordergrund, die Gefahr schwerer Verläufe und Komplikationen der eigentlichen Krankheit aber in den Hintergrund.
Eine der Konsequenzen einer solchen Impfmüdigkeit zeigt sich in diesen Tagen: Seit Anfang 2013 gehen in einigen Regionen Deutschlands erneut verstärkt die Masern um. Knapp 1.000 Fälle melden die Gesundheitsbehörden bis Juli – das sind jetzt schon fünf Mal mehr als im ganzen letzten Jahr. Und auch Mumps, lange Zeit nahezu ausgerottet, ist wieder auf dem Vormarsch. Betroffen sind dabei viele Jugendliche und junge Erwachsene, die als Kinder nicht oder nur unzureichend geimpft wurden, wie die Behörden mitteilen. Auch aktuell liegen die Impfraten bei uns gerade mal bei durchschnittlich 37 Prozent, wie die aktuelle Studie des Versorgungsatlas zeigt.
Auffallend dabei: Die meisten Fälle traten in Berlin und München auf – in Ballungsräumen, in denen überproportional viele gut ausgebildete Menschen leben und arbeiten. Ein Zufall? Nein, meinen Infektionsmediziner. Denn gerade gebildete Eltern seien besonders bestrebt, ihr Kind keinen unnötigen Risiken auszusetzen – und zählen viele Impfungen irrtümlich dazu. Aber warum? Wie kommen sie zu dieser Einschätzung?
Nadja Podbregar
Stand: 19.07.2013