Die Geschichte beginnt im Jahr 1860. Vor wenigen Monaten erst hat der englische Naturforscher Charles Darwin ein Buch veröffentlicht, das alles bisher Dagewesene auf dem Kopf stellt: In seiner Abhandlung „Die Entstehung der Arten“ postuliert er, dass Tier- und Pflanzenarten nicht durch Schöpfung entstanden sind, sondern sich allmählich, im Laufe einer Jahrmillionen dauernden Evolution, aus gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben. Das ist ein Skandal – jedenfalls für viele seiner Zeitgenossen. „Von dem Moment seiner Veröffentlichung, hat Darwins fundamentale Idee intensive Reaktionen hervorgerufen, von wütender Verdammung bis hin zu ekstatischer Anhängerschaft, manchmal sogar religiösem Eifer“, beschreibt der US-Philosoph Daniel Dennett die damalige Stimmung.
In Deutschland geht es Anfang 1860 noch etwas ruhiger zu, die deutsche Übersetzung von Darwins Werk wird erst später im Jahr erscheinen. Doch die Fachwelt ist natürlich auch hier auf dem Laufenden. Zu ihr gehört auch der zu diesem Zeitpunkt 59-jährige Hermann von Meyer. Der international renommierte Paläontologe – gerade wurde er von der Geological Society of London mit der Wollaston–Medaille ausgezeichnet – hat bereits zahlreiche Fossilien ausgegraben und bestimmt. Für ihn ist daher Darwins These alles andere als absurd, passt sie doch sehr gut zu seinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen.
Kalksteinplatte mit Inhalt
Als er von Arbeitern aus dem Kalksteinbruch in Solnhofen gerufen wird, um sich einen Fund anzuschauen, ist dies für ihn reine Routine. Er ahnt nicht, dass dieser Fund und die ihm folgenden die Geschichte der Paläontologie und die Sicht auf die Evolution für immer verändern werden. Am Steinbruch angekommen, zeigen ihm die Arbeiter eine Kalkplatte, die auseinander gesprungen ist, und in ihrem Inneren den Abdruck einer etwa sechs Zentimeter langen Feder zeigt – konserviert bis in die feinsten Spitzen hinein. Auf den ersten Blick gleicht sie in jeder Hinsicht einer ganz normalen modernen Vogelfeder: schlank, langgestreckt, der Schaft liegt, wie für Schwungfedern typisch, nicht mittig, sondern leicht seitlich versetzt.
Aber modern kann die Feder nicht sein, denn der Plattenkalk von Solnhofen, das weiß von Meyer, entstand vor mehr als 150 Millionen Jahren, im Zeitalter des Jura. Jedes Fossil, das in dem feinen Kalk eingeschlossen ist, muss also mindestens ebenso alt sein. Und genau das ist die Sensation: Denn noch nie hatte man ein so altes Relikt eines vogelähnlichen Wesens entdeckt. Sollte sich dies bestätigten, musste es schon Urvögel lange vor dem Niedergang der Dinosaurier gegeben haben.
„Uralte Feder“ aus der Kreidezeit
Der Forscher nimmt die Feder mit nach Frankfurt und untersucht sie gründlich. Dann, 1861, veröffentlicht er seine Schlussfolgerungen im „Neuen Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie“. Er schreibt: „Ich kann ihnen mitteilen, dass ich die Feder von Solnhofen aus allen Richtungen genauestens untersucht habe und dass ich zu dem Schluss komme, dass es sich hier um eine veritable Fossilierung im lithographischen Stein handelt, die vollständig mit einer Vogelfeder korrespondiert.“
Für den noch unbekannten Träger dieser Feder hat von Meyer auch bereits einen Namen: „Ich betrachte ‚Archaeopteryx lithographica‘ als einen passenden Namen…“, schreibt er im Jahrbuch. Die griechische Bezeichnung bedeutet nichts anderes als „uralte Feder aus dem Lithographischen Schiefer“. Noch ist allerdings weder ihm noch seinen Zeitgenossen klar, dass diese Feder nicht von einem „normalen“ Vogel stammt…
Nadja Podbregar
Stand: 13.08.2010