Gibt es auch beliebig nahe am Urknall noch Zeit und Raum? Gibt es also dann noch eine Metrik? Und vor allem: Ist eine solche Metrik eindeutig bestimmt? Oder lösen sich Zeit und Raum in der Nähe des Urknalls ins Unbestimmte auf, verschwinden sozusagen im Nebel?
An diesen Fragen setzen unsere Forschungsarbeiten im Institut für Theoretische Physik der Heidelberger Universität an. Dazu nutzen wir beispielsweise mathematische Modelle, mit denen sich Fragen nach dem Urknall angehen lassen. Bei der Untersuchung solcher Modelle stellte sich heraus, dass die Metrik kein „fundamentales“ Feld sein muss.
Es gibt Modelle, die nur mit sogenannten Fermionen formuliert werden können –Teilchen wie die Elektronen, aus denen Materie besteht. Ein metrisches Feld wird dann als eine Eigenschaft des Fermionen-Systems erhalten, genauer gesagt als „Korrelationsfunktion“. Je nach den Parametern, die man für das Modell wählt, kann die Metrik Null sein – dann gibt es keinen Raum und keine Zeit – oder sie kann positive Werte annehmen, sodass die Abstände eine Bedeutung bekommen.
Pfannkuchen statt Kugel
Mit diesen Modellen der Quantengravitation lässt sich gut veranschaulichen, dass Zeit, Raum und Geometrie Eigenschaften der Materie sind. Sie ermöglichen es uns, Fragen nach der Bedeutung von Zeit und Raum bei extrem kleinen Abständen mathematisch konsistent zu behandeln.
Das vielleicht wichtigste Resultat dieser Untersuchungen ist: Es gibt nicht nur eine mögliche Metrik, sondern beliebig viele. Verschiedenen Beobachtern steht es prinzipiell frei, eine jeweils eigene Metrik zu wählen, um Abstände zu messen. Mit anderen Worten: Jeder kann seine eigene Geometrie zur Beschreibung des Universums wählen – was für den einen eine Kugel ist, ist für den anderen ein Pfannkuchen.
Ganz so extrem ist es dann doch nicht: Bei Abständen, die verglichen mit einer winzigen fundamentalen Längenskala wie der Planck-Länge groß sind, stellt sich Folgendes heraus: Abstände, die mit verschiedenen möglichen Metriken gemessen werden, sind proportional zueinander, zumindest bis auf winzige Korrekturen. Damit unterscheiden sich nur die Einheiten, in denen Abstände ausgedrückt werden. Es ist zwar nicht immer praktisch, wenn der eine Wissenschaftler Längen in Zentimetern misst, der zweite in Inches und der Dritte in Ellen. Aber man kann sich auf eine Umrechnung einigen – und jeder Beobachter erhält die gleiche Geometrie. Intelligente Wesen auf einem fernen Planeten finden daher dieselbe Geometrie des Universums heraus wie wir.
Christoph Wetterich, Institut für Theoretische Physik der Universität Heidelberg / Ruperto Carola
Stand: 07.06.2013