Die Schwarze Wegameise (Lasius niger) gilt als einer der besten „Viehzüchter“ im Tierreich. Bei ihr steht Honigtau ganz oben auf der Speisekarte. Diesen luchst sie mit Vorliebe Bohnenblattläusen ab. Letztere leben auf Pflanzen wie Hirtentäschelkraut oder Kratzdisteln, aber auch an Saubohnen, Kartoffeln oder Rüben. Dort schlürfen sie aus den Leitungsbahnen zucker- und eiweißreiche Säfte.
Eine Hand wäscht die andere?
Die Blattläuse benötigen allerdings nur einen Bruchteil der aufgenommenen Nahrung selber, den großen Rest scheiden sie über besondere Drüsen wieder aus. Das funktioniert besonders gut, wenn die Schwarze Wegameise den Hinterleib der Blattläuse betastet oder betrommelt. Dann gibt es Honigtau quasi auf Bestellung.
Dieses Melken der Blattläuse ist zwar ungewöhnlich, aber noch lange keine Sklavenhaltung. Denn zum Ausgleich für die Nahrung garantieren die Ameisen „ihren“ Blattläusen Schutz gegen Fressfeinde wie Marienkäfer, Schwebfliegenlarven oder Florfliegen. Eine perfekte Zweckgemeinschaft zum Nutzen beider Arten? Eine Symbiose nach dem Prinzip „eine Hand wäscht die andere“?
Weit gefehlt. Denn wenn sich Bohnenblattläuse an ihren Wirtspflanzen zu stark vermehren, beginnen sie abzuwandern und sich einen neuen Lebensraum zu suchen. Spätestens in diesem Augenblick gerät ihre auf den ersten Blick harmonische Beziehung zu den Wegameisen in eine schwere Krise. Denn Lasius niger hat natürlich ernsthaft was dagegen, die Lieferanten für ihre Leibspeise einfach so ziehen zu lassen. Die Ameisen setzen sogar alles daran, sie bei der Stange – sprich in absoluter Nachbarschaft – zu halten.
Verstümmelung als Erziehungsmaßnahme
Dabei schrecken sie auch vor drakonischen Maßnahmen nicht zurück. So haben Forscher beispielsweise bereits vor einiger Zeit beobachtet, dass Lasius niger den Bohnenblattläusen ohne zu zögern die Flügel abbeißt, um sie an der Flucht zu hindern. Die Ameisen setzen alternativ oder parallel dazu aber auch auf eine Art „chemische Keule“. In speziellen Drüsen produzierte Substanzen unterdrücken dabei schon das Flügelwachstum bei den Blattläusen nachhaltig.
Dass letzteres nur ein Teil einer chemischen Doppelstrategie ist, um die Blattläuse zu Leibeigenen zu machen, haben im Jahr 2007 britische Wissenschaftler um Thomas Oliver vom Imperial College London gezeigt. In ihren Laborexperimenten konnten sie nachweisen, dass von den Füßen der Ameisen offenbar Chemikalien abgesondert werden, die die Blattläuse in ihrer Fortbewegung einschränken.
Chemikalie lässt Blattläuse schleichen
Diesem Schachzug auf die Spur kamen die Forscher bei Versuchen, in denen sie die Blattläuse über Filterpapier laufen ließen. Mit einer Videokamera und einer speziellen Software maßen sie dabei die Laufgeschwindigkeit der kleinen Insekten. Ergebnis: die Blattläuse bewegten sich viel gemächlicher, wenn sich zuvor Ameisen auf dem Blatt befunden hatten.
Weitere Experimente mit einem vertrockneten Blatt, das bei Blattläusen eine Art Flucht-Instinkt und eine Suche nach frischem, nahrhaftem Planzenmaterial auslöst, bestätigten die ersten Resultate. Auch hier konnten sich die Blattläuse nur noch in Zeitlupe bewegen, wenn Ameisen zugegen waren.
Tranquilizer in den Fußspuren
„Wir gehen davon aus, dass die Ameisen Tranquilizer in ihren Fußspuren nutzen, um die vielköpfige Läuseherde in der Nähe ihrer Kolonie zu halten, die jederzeit schon auf sanftes Pochen Honigtau bereitstellt. Ameisen sind zudem dafür bekannt, dass sie mitunter sogar Läuse fressen. Letztere auf die beschriebene Weise zu versklaven, ist deshalb ein großartiger Weg um ‚erneuerbaren‘ Honigtau und Beutetiere jederzeit leicht verfügbar zu haben“, meint Oliver in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.
Und Professor Vincent Jansen von der Royal Holloway’s School of Biological Sciences ergänzt: „Obwohl beide Parteien ihre Vorteile aus der Verbindung ziehen, zeigt unsere Forschung, dass zumindest nicht alles gut ist in der Welt von Ameisen und Blattläusen. Die Blattläuse werden eindeutig zu ihrem Nachteil manipuliert“. Sein Fazit: Für Blattläuse sind Ameisen eine gefährliche Liaison.
Welche Beruhigungspille die Ameisen nutzen und wie sie genau wirkt, ist zurzeit noch unklar. Das sollen jetzt neue Untersuchungen zeigen.
Dieter Lohmann
Stand: 15.04.2011