Was geschieht im Gehirn, wenn wir Vokabeln lernen? Aus welchen Winkeln der Hirnrinde holen wir sie wieder hervor? Wie verarbeitet das Gehirn optische Information? Oder wie lässt sich erklären, dass manche Schlaganfall-Patienten eine Hälfte der Welt trotz intaktem Sehvermögen nicht mehr registrieren?
Wissenschaftlich betrachtet ist das Gehirn in weiten Teilen immer noch ein unbekanntes Land. „Früher glaubte man, komplexe Funktionen wie Lernen oder Erinnerung seien in einem einzigen Hirngebiet lokalisiert“, sagt Prof. Zilles. „heute gehen wir davon aus, dass an jeder Leistung des Gehirns mehrere voneinander entfernte, aber über Nervenfasern verknüpfte Zellgruppen beteiligt sind. Wir haben uns vorgenommen, diese Knotenpunkte und Vernetzungen aufzuspüren.“
„So wichtig die Ergebnisse der großen Hirnforscher von gestern sind: Immer wurde totes, aus dem Organzusammenhang losgelöstes Gewebe betrachtet“, weist Prof. Karl Zilles, Leiter des Instituts für Medizin (IME) im Forschungszentrum Jülich, auf ein Problem „traditioneller“ Hirnforschung hin. Erst die Kombination modernster Mikroskopiertechniken, bei denen bis zu 8.000 nur 20 Mikrometer (tausendstel Millimeter) dicke Serienschnitte des Gehirns analysiert werden, mit neuartigen Verfahren der funktionellen Bildgebung am lebenden Organ macht es möglich, die Orte der Hirntätigkeit präzise zu ermitteln und „Landkarten des Geistes“ anzulegen.
Dank Magnetresonanz- und Positronen-Emissions-Tomographie, Einzel-Protonen-Emissions-Computertomographen sowie Magnetenzephalographie können Forscher heute komplexe Funktionen und ihre Lokalisation im lebenden Gehirn ohne chirurgischen Eingriff untersuchen. Die modernen bildgebenden Verfahren zeigen lokale Durchblutungs- und Stoffwechselverhältnisse an oder verraten die räumliche Verteilung von Molekülen, die für die Erregungsübertragung wichtig sind. Für Wissenschaftler erfüllt sich so der Traum, dem Gehirn beim Denken zuzuschauen.
Letztlich dienen alle Anstrengungen dazu, die funktionelle Organisation des Gehirns zu ergründen. Endergebnis könnte eine lückenlose Kartierung aller Hirnfunktionen sein. Ein anspruchsvolles Vorhaben, dass mit der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Erbguts durchaus vergleichbar ist.
Stand: 16.03.2001