In den ersten Monaten ihrer Forschung konnte Jane Goodall keinen einzigen Schimpansen beobachten. Sie hörte nur ihr Rufen und fand leere Schlafnester. Doch nach einiger Zeit und viel Geduld schaffte die Tierforscherin es, den wilden Menschenaffen näher zu kommen.
David Greybeard
Dabei gab es einen Schlüsselmoment: Völlig unerwartet näherte sich ihr eines Tages ein ausgewachsenes Schimpansen-Männchen mit bereits leicht ergrautem Barthaar. Dieses gewöhnte sich an Goodall und erlaubte es ihr auch, sich ihm zu nähern. So konnte die Forscherin ihn in Ruhe beobachten und folgte ihm bald auch, um seine Artgenossen kennenzulernen.
Das Besondere: Goodall versteckte sich nicht – wie damals üblich – vor den Primaten, um sie aus der Distanz zu beobachten und ihr Verhalten zu analysieren. Stattdessen lebte sie mit den Schimpansen zusammen, und legte dabei allerdings großen Wert darauf, in respektvollem Abstand mit ihnen umzugehen und ihnen natürliches Verhalten und Miteinander zu ermöglichen. Immer mehr wurde sie Teil der Gruppe und begann, sich in die Tiere hineinzufühlen.
Goodalls Art der Forschung unterschied sich noch in einem anderen wesentlichen Punkt von der der etablierten Wissenschaftler: Goodall gab den einzelnen Tieren keine Nummern, wie es damals üblich war. Sie wählte für jeden der Primaten einen eigenen Namen. Ihre erste Bekanntschaft taufte sie so beispielsweise David Greybeard, das erste Neugeborene, das sie beim Aufwachsen beobachten konnte, nannte sie Flint.
Unvoreingenommenheit als Erfolgsrezept
Die Methode der „teilnehmenden Beobachtung“ und der Umgang mit den Schimpansen als Persönlichkeiten war in der damals von Männern dominierten Wissenschaft stark umstritten. Kritiker warfen Goodall, die bis zu dem Zeitpunkt nicht mal studiert hatte, Unwissenschaftlichkeit bei ihrer Primatenforschung vor und behaupteten, dass die wissenschaftliche Distanz zu den Schimpansen verloren ginge.
Doch ihre angebliche „Unwissenschaftlichkeit“ war für ihre Forschungsarbeiten entscheidend. „Diese Besonderheit, dass sie ohne Ausbildung, einfach nur mit einem großen Naturinteresse und einer großen Liebe zur Natur da rausgegangen ist als sehr junge Frau, das hat ihr auch ermöglicht, Dinge zu sehen, die vielleicht jemand, der vorher durch so eine Schule gegangen ist und normiert worden wäre, vielleicht nicht so gesehen hätte“, spekuliert Julia Fischer von der Universität Göttingen.
Goodalls Art und Weise zu forschen hat sich heute bewährt. „Dass sie den Tieren zugestanden hat, dass wir sie als Subjekte betrachten und nicht als Objekte. Das war etwas, was fundamental die Verhaltensbiologie verändert und beeinflusst hat“, so Fischer weiter.
Respekt gegenüber Tier und Mensch
Goodall entgegnete aber nicht nur den von ihr beobachteten Tieren mit Respekt und Neugier. Auch den Einheimischen in Tansania widmete sie sich: Goodalls Mutter baute in der Nähe der Forschungsregion eine kleine Krankenstation für die Einheimischen auf und stellte so einen freundschaftlichen Kontakt zu den dort lebenden Menschen her. Diese als gleichwertig anzusehen, war jedoch damals weder von Wissenschaftlern noch Europäern allgemein üblich.
Die Freundschaft zu den Einheimischen war aber ein großer Vorteil für Jane Goodall: Sie kannten sich in der Gegend aus und gaben der jungen Forscherin ihr Wissen über das Land und dessen Pflanzen- und Tierwelt weiter.