Medizin

Eine rätselhafte Epidemie

Wird die Entwicklungsstörung häufiger?

Wie viele Menschen weltweit von einer der zahlreichen Spielarten des Autismus betroffen sind, weiß niemand ganz genau. Schätzungen gehen jedoch von etwa ein bis drei Prozent der Kinder aus – die Zahl der Diagnosen scheint dabei in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen zu haben. In den USA spricht man schon von einer „Autismus-Epidemie“. Doch wird die Entwicklungsstörung wirklich häufiger?

Kind
Nimmt die Zahl der autistischen Kinder zu? © Maria Dubova/ iStock.com

Eine Zunahme der Diagnosen muss nicht zwangsläufig eine Zunahme der Autismusfälle bedeuten. So könnten sich die steigenden Zahlen auch dadurch erklären lassen, dass das Bewusstsein für die Entwicklungsstörung in der Öffentlichkeit gestiegen ist und sich die Diagnosemethoden im Vergleich zu früher verändert haben. Ein ähnlicher Zusammenhang wird zum Beispiel auch bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen vermutet.

Alte Eltern als Erklärung

Trotzdem sind manche Experten der Ansicht, dass zumindest ein Teil des beobachteten Anstiegs auf eine tatsächliche Zunahme von Autismusfällen zurückzuführen ist. Doch welche Ursachen stecken dahinter? Wer sich Regionen anschaut, in denen in letzter Zeit besonders viele autistische Kinder geboren werden, stößt schnell auf interessante Erklärungsansätze.

Eine dieser Ansammlungen von Autisten findet sich zum Beispiel rund um die Hügel von Hollywood. Auf der Suche nach des Rätsels Lösung fanden Forscher schließlich heraus, dass die dort lebenden Paare ihre Kinder im Schnitt später bekommen als in anderen Bezirken Kaliforniens. Das Spannende daran: Es ist bekannt, dass ein hohes Zeugungsalter mit einem erhöhten Risiko für Autismus beim Nachwuchs einhergeht. Lässt sich die Autismus-Epidemie also durch einen sozialen Wandel und veränderte Lebensentwürfe in unserer Gesellschaft erklären?

Silicon Valley
Das Silicon Valley scheint ein Hotspot für Autismus zu sein. © zimmytws/ iStock.com

Häufung im Silicon Valley

Ebenfalls in Kalifornien, jedoch bei San Francisco, geht die Spurensuche weiter: Dort, im Santa Clara County, ist die Anzahl der mit Autismus diagnostizierten Kinder in den letzten zwei Jahrzehnten regelrecht explodiert. In diesem Bezirk liegt das Silicon Valley – einer der bedeutendsten Standorte der IT- und Hightech-Industrie weltweit. Es ist der Arbeitsplatz kreativer Technikfreaks, von denen viele hochintelligent sind oder über besondere Begabungen in bestimmten Bereichen verfügen.

Genau dieses Merkmal charakterisiert auch manche Menschen mit Asperger. Schon der Namensgeber dieses Syndroms, Hans Asperger, erklärte einmal: „Es scheint, dass ein Hauch von Autismus essenziell ist für den Erfolg in Wissenschaft oder Kunst.“ Im Silicon Valley erfolgreiche Menschen könnten demnach gehäuft über genetische Tendenzen für das im Englischen manchmal auch „Geek Syndrome“ genannte Asperger-Syndrom verfügen.

Geek trifft Geek

Was für die Eltern möglicherweise ein Karrieregarant ist, kann für die Kinder jedoch bedeuten, dass sie mit einer Entwicklungsstörung leben. Denn haben sowohl Mutter als auch Vater leicht autistische Tendenzen, kann sich dies beim Nachwuchs zur Störung potenzieren – und im Silicon Valley ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei „Geeks“ als Partner finden, wohl so hoch wie nirgendwo sonst.

Die räumliche Konzentration von Menschen mit Autismusneigung oder das zunehmend hohe Alter werdender Eltern: Dies sind nur zwei von vielen Faktoren, die die Zunahme der Entwicklungsstörung erklären könnten. Was nun ausschlaggebend für die steigende Zahl von Autismusfällen ist und ob die Zahl überhaupt steigt – darüber werden Experten allerdings wohl auch weiterhin debattieren.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter
Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Autismus
Eine neurologische Besonderheit mit vielen Gesichtern

In einer eigenen Welt

Wie äußert sich Autismus?

Den Ursachen auf der Spur
Von Genveränderungen und Umweltfaktoren

Die Sache mit dem Impfen
Ein gefährlicher Mythos hält sich hartnäckig

Eine rätselhafte Epidemie
Wird die Entwicklungsstörung häufiger?

Suche nach Behandlungsmöglichkeiten
Von umstrittenen Therapien und potenziellen Medikamenten

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Autismus-Diagnose per Bluttest?
Beschädigte Proteine im Blutplasma können Hinweise auf die Erkrankung geben

Autismus-Gefahr durch Bisphenol A?
Stoffwechsel autistischer Kinder zeigt Zusammenhang mit verbreitetem Plastik-Zusatz

Kein Autismus durch Masern-Impfung
Studie widerlegt erneut Ängste vor Impf-Nebenwirkungen

Krebsmedikament gegen Autismus?
Epigenetisch wirksames Mittel scheint soziale Defizite zu beheben

Dossiers zum Thema