Mitten im sinnreichen Chaos aus Leitungen, Geräten, Treppen und Schächten lacht uns ein bunter Drache an. Das fröhlich gemalte Fantasiewesen bläst seinen gepinselten Feuerstrahl auf eine massive Metallwand zu. Sie gehört zur großen Vakuumkammer, dem Herzstück von Asdex Upgrade. Derzeit ruht das Experiment, und so darf der Gast hinein ins Garchinger Allerheiligste. „Spaß muss sein“, sagt Sibylle Günter angesichts des lustigen Fabeltiers.
Die Leiterin der Theorieabteilung am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) führt durch das Labyrinth der großen Plasmaanlage. „Ich experimentiere auch sehr gern“, erzählt die Professorin für Theoretische Physik. Mit sichtlicher Begeisterung arbeitet sie an einem Projekt mit, das vielleicht zu den kühnsten Unternehmungen des 21. Jahrhunderts zählt. Plasmaphysiker wollen das „Sonnenfeuer auf die Erde holen“, wie die Medien das gern darstellen.
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Sterne wie die Sonne gewinnen einen großen Teil ihrer Energie aus dem Verschmelzen von Wasserstoff-Atomkernen zu Heliumkernen. Diese Kernfusion möchten die Physiker für die Menschheit nutzbar machen, als praktisch unerschöpfliche Energiequelle. Seit gut einem halben Jahrhundert verfolgen Fusionsforscher dieses ehrgeizige Ziel. Nach einem euphorischen Start mussten sie allerdings ernüchternde Rückschläge verdauen. Doch ihr hartnäckiges Weiterforschen scheint sich langsam auszuzahlen.
Asdex kommt voran
Die Fortschritte der vergangenen Jahre erlauben es Sibylle Günter und ihren Kollegen, optimistisch in die Zukunft zu blicken: Gerade den Garchinger Physikern gelang die Lösung einiger Probleme, die den Weg zum Fusionsreaktor zu blockieren drohten. Unter dem großen Vakuumgefäß von Asdex Upgrade wird dem Besucher seltsam zumute. Er denkt daran, dass wenige Meter über seinem Kopf schon Temperaturen bis zu unfassbaren 150 Millionen Grad geherrscht haben. Dagegen ist das Innere der Sonne mit seinen zehn Millionen Grad geradezu ein kühles Plätzchen. Der Temperaturvergleich zeigt aber auch, dass die beliebte Metapher vom Sonnenfeuer auf Erden nicht wirklich zutrifft. Im Innern eines zukünftigen Fusionsreaktors, zu dem Asdex Upgrade eine Vorstufe ist, soll sich ein anderes Fusionsszenario abspielen als in der Sonne.
In Sibylle Günters Büro wird wohltuend irdisch temperierter Kaffee serviert. Mit am Tisch sitzt Hartmut Zohm, der einen Teil der Experimente an Asdex Upgrade verantwortet. Wie seine Kollegin gehört der Max- Planck-Direktor zur wissenschaftlichen Leitung des großen Garchinger Instituts. „Die Fusionsprozesse in der Sonne wären ein bisschen zu langsam, um in einem Reaktor effizient abzulaufen“, sagt Günter. Daher können die Physiker die Sonne nicht einfach kopieren.
Mit ihren Plasmaanlagen à la Asdex wäre das auch gar nicht möglich; diese Maschinen erreichen niemals den ungeheuren Druck, der im Innern unseres Zentralgestirns herrscht. „In der Sonne ist deshalb auch die Dichte der Teilchen, also ihre Zahl pro Kubikmeter, viel höher als in unseren Plasmen“, erklärt Zohm. Ein Grund, weshalb die Sonne trotz des langsamen Prozesses genügend Energie für ihr Fusionsfeuer gewinnt. Zudem ist ihr Inneres viel besser gegen Strahlungs- und Wärmeverluste isoliert als ein vergleichsweise winziges Plasmaexperiment, verloren in einer irdisch kalten Umgebung.
Keine Kopie des Sonnenfeuers
Das Konzept der Physiker setzt auf erheblich niedrigere Drücke. „In Asdex Upgrade erreichen wir etwa ein Bar, also den normalen Umgebungsdruck“, sagt Hartmut Zohm, „und im Fusionsreaktor eines zukünftigen Kraftwerks wird er bei etwa vier bis fünf Bar liegen“. Da keine festen Wände, sondern reine Magnetfelder diesen Druck aufbauen müssen, bedeutet das schon eine enorme technische Herausforderung.
Auch die Reaktion selbst unterscheidet sich vom solaren Prozess. „In der Sonne verschmelzen über Zwischenschritte vier Protonen, also Kerne des leichten Wasserstoffs, zu einem Heliumkern“, sagt Günter. Bei der künstlichen Fusion verschmelzen dagegen die beiden schweren Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem Heliumkern. Dabei geben sie ein Neutron ab, das für die Herstellung des Tritiums eine wichtige Rolle spielt.
Zudem übernimmt dieses Neutron in einem zukünftigen Fusionskraftwerk den Transport der Fusionsenergie zur Reaktorwand. Dort verwandelt diese sich in Wärme und erhitzt Wasser in Kühlschlangen. Der Dampf treibt dann über Turbinen Stromgeneratoren an. Deuterium und Tritium muten zwar als Brennstoff exotisch an, doch die Zutaten sind fast überall in unserer Umwelt vorhanden.
Fusionsenergie würde also die weltweite Konkurrenz um knappe Energieressourcen wirksam entschärfen. „So betrachtet wäre sie auch ein aktiver Beitrag zur Friedenspolitik“, meint Günter. Das Deuterium wird aus schwerem Wasser gewonnen, das in geringer Konzentration überall im Meer, in Seen und Flüssen vorhanden ist. Das Tritium erbrüten die Neutronen des Fusionsprozesses aus Lithium; dieses leichteste aller Metalle kommt in vielen Mineralen vor.
Stand: 01.09.2006