Die erste wissenschaftliche Revolution fand auf dem Gebiet des heutigen Iraks statt. Schon dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung hatten Astronomen im Zweitstromland damit begonnen, die Phänomene am Himmel zu beobachten und zu deuten. Später sollten die Babylonier aus dieser Tradition mathematische Reihen und Folgen entwickeln, mit deren Hilfe sie die Positionen von Sternen berechnen konnten. So konnten sie erstmals Himmelsereignisse wie etwa Mond – und Sonnenfinsternisse voraussagen. Damit legten sie den Grundstein für die empirischen Wissenschaft und die heutige Astronomie.
Ein Hilfsmittel griff den damaligen Sternenguckern dabei besonders unter die Arme: Seit dem vierten vorchristlichen Jahrtausend hatten die Mesopotamier eine Schrift und verwendeten Zahlzeichen. Dank der Keilschrift konnten sie ihre Beobachtungen, beispielsweise die Bewegung von Sternen, die Zeiten des Sonnenauf- oder Untergangs oder ungewöhnliche Ereignisse wie Sternschnuppen, niederschreiben und so über Jahre hinweg zurückverfolgen. Praktischer Nebeneffekt dieser Errungenschaft: Viele solcher Dokumentationen aus dem Mittelmeerraum sind noch heute auf Tontafeln erhalten und erlauben Archäologen so Einblicke in die damalige astronomische Praxis.
Staatliche Sternengucker
Aus solchen Aufzeichnungen weiß man, dass die Mesopotamier besonders seit dem 8. vorchristlichen Jahrhundert eine auf empirische Vorgehensweise gestützte Form der Astronomie entwickelten. Bezeugt wird dies durch eine dokumentierte und rückdatierbare Sonnenfinsternis am 6. Juni 763 vor Christus. Doch nicht nur die Schrift half bei der Entwicklung einer solch frühen Wissenschaft: Auch die immense Geduld der Zweistromländer – einige Beobachtungsreihen dauerten über 20 Jahre – sowie der hohe Organisationsgrad der astronomischen Forschung waren dem Erkenntnisgewinn zuträglich. Denn: Sternenguckerei war eine Staatsangelegenheit.
Ähnlich wie bei der heutigen Weltraumforschung ging es den damaligen Herrschern jedoch nicht nur um Erkenntnisgewinn, sondern auch um die Sicherung ihrer Macht. So erwarteten die Könige des Zweistromlandes von ihren Hofastromomen eine ehrgeizige Forschung und besonders die zuverlässige Voraussage von Sonnen – oder Mondfinsternissen.
Denn diese – so der antike Glaube – standen in enger Verbindung mit jeglichen Geschehnissen auf der Erde. Aus heutiger Sicht mag uns dies abwegig erscheinen, damals waren jedoch Astronomie und Astrologie untrennbar miteinander verbunden. Vielmehr stand die Suche nach astrologischen Zusammenhängen bei der mesopotamischen Sternenbeobachtung sogar im Vordergrund. So studierten die Astronomen die Positionen der wichtigsten Sterne und zeichneten parallel dazu Wetter- und Naturereignisse sowie jegliche Art von gesellschaftlichen Geschehnissen auf. Ziel war es, den vermeintlichen Zusammenhang zwischen irdischen und himmlischen Vorkommnissen zu verstehen und so Voraussagen treffen zu können.
Dem Feind einen Schritt voraus
Die Könige der damaligen Zeit waren davon überzeugt, dass sie im Falle einer bevorstehenden Finsternis die Milde der Götter durch Opfergaben und Rituale herbeiführen oder den bevorstehenden Fluch auf ihre Widersacher lenken könnten. Dazu bedurfte es allerdings einiger Vorbereitungszeit, welche sie durch die Voraussage der Astronomen zu gewinnen hofften.
Und tatsächlich: Allein in der babylonischen Geschichte schienen sich mehrmals die auf Mondfinsternissen basierenden Prophezeiungen zu erfüllen. Aus den Tontafeln geht hervor, dass allein dreimal Herrscher der alten mesopotamischen Königsstadt Akkad direkt nacheiner Finsternis starben, gefolgt von der Übernahme des Thrones durch den Sohn.
Auch andere negative Prophezeiungen, wie etwa diese Schrifttafel-Überlieferung: „Wenn Stern A am ersten Morgen des ersten Monats nicht zu sehen ist, wird […] die Jahresernte schlecht ausfallen und die Eltern müssen vom Verkaufserlös ihrer Kinder leben“, illustrieren, wie sehr die Menschen an die Verbindung von Himmels- mit irdischen Ereignissen glaubten. Auch wird daran eine zweite wichtige Aufgabe der Astronomen sichtbar: die Abschätzung von Wetterereignissen und deren jahreszeitlichen Zusammenhang – etwa zur Erstellung eines Ernte-Kalenders.
So entwickelten die Babylonier damit letztlich aus einer religiös-mythisch motivierten Himmelsbeobachtung eine empirisch hochentwickelte astronomische Wissenschaft.
Kathrin Bernard
Stand: 02.02.2013