Was war zuerst da – die Federn oder das Fliegen? Lange Zeit schien die Antwort auf diese Frage ungefähr so eindeutig wie beim Henne-Ei-Problem: Fliegen ohne Federn ist nur schwer vorstellbar, da Schuppen zu schwer und unflexibel sind, um ganze Flügel oder Gleitflächen zu bilden. Andererseits sind Federn bei einem am Boden laufenden Reptil eher nachteilig, weil sie weniger gut schützen als die feste Schuppenschicht. Welchen Nutzen konnten sie gebracht haben? Bis vor wenigen Jahren steckten die Evolutionsforscher damit in einer Sackgasse.
Die Grundregeln der Evolution gaben vor, dass sich nur die Strukturen oder Verhaltensweisen entwickeln und erhalten, die dem Tier Vorteile bringen. Strukturen die das Tier benachteiligen, setzen sich nicht durch, weil ihre Träger aussterben. Und ähnliches gilt dummerweise auch für nutzlose Entwicklungen: Auch wenn sie nicht direkt hindern, kosten sie den Körper zusätzliche Energie, und stellen damit letztendlich doch einen Nachteil dar. Galt dies auch für die Federn?
Einen ersten Hinweis gab Archaeopteryx, das bekannteste Bindeglied zwischen den Reptilien und den Vögeln. Das 150 Millionen Jahre alte Fossil zeigte deutlich, dass zumindest dieses erste vogelähnliche Wesen nicht nur Flügel sondern offenbar auch schon Federn hatte. Zwar debattieren Forscher bis heute darüber, ob und wie gut Archaeopteryx tatsächlich fliegen konnte, dennoch setzt sich zunehmend die Ansicht durch, dass der „Urvogel“ vermutlich kein sonderlich eleganter Flieger war, aber prinzipiell flugfähig gewesen sein muss.
Doch wie sah es nun mit den Vorfahren des Archaeopteryx aus: Fliegen konnten sie wohl nicht, aber hatten sie bereits Federn? Die nächsten Verwandten des Archaeopteryx und damit auch der heutigen Vögel sind vermutlich kleine räuberische Dinosaurier. Lange Zeit galten alle Reptilien, und auch die Saurier als schwerfällige kaltblütige Wesen. Doch die ersten Funde von wendigen, eindeutig an eine effektive Jagd angepassten Dromaeosauriern krempelte dieses Bild um. Ähnlich wie im Film „Jurassic Park“ dargestellt, waren diese Saurier offensichtlich extrem agil und aktiv. Sie jagten ihre Beute im Lauf und fingen sie mit ihren starken, speziell angepassten Vorderarmen. Woher nahm aber ein kaltblütiges Tier die dafür nötige Energie?
Diese Frage entzündete – wieder einmal – einen Expertenstreit, der bis heute anhält. Von vielen Forschern werden die Fossilienfunde als Indizien dafür gewertet, dass diese Dromaeosaurier bereits Warmblüter gewesen sein könnten. Dies würde nicht nur ihre Wendigkeit und ihren Erfolg erklären, sondern könnte auch in der Federfrage neue Erkenntnisse bringen: Waren die Dinosaurier warmblütig, hätten Tiere mit einer wärmeisolierenden Federschicht einen erheblichen Vorteil gegenüber den beschuppten oder häutigen Formen.
Den entscheidenden Durchbruch brachte ein sensationeller Fund Anfang diesen Jahres: Chinesische und amerikanische Wissenschaftler entdeckten in der chinesischen Liaoning Provinz das Fossil eines 130 Millionen Jahre alten Dinosauriers, der über und über mit primitiven Federn und Daunen bedeckt war. „Dieses Fossil verändert unsere Sicht dieser ausgestorbenen Tiere radikal,“ erklärt Mark Norell, Leiter der Paläontologie im amerikanischen Museum für Naturgeschichte. Der Paläontologe Ji Qiang ergänzt: „Damit ist es nicht mehr zu bestreiten, dass auch nicht-flugfähige Dinosaurier bereits eine federähnliche Körperbedeckung hatten.“ Das Henne-Ei-Problem scheint damit, zumindestens was die Federn angeht, gelöst…
Stand: 12.06.2001