So segensreich Neurotechnologien in der Medizin sein können – sie werfen auch ethische Fragen auf:
Ändern sich unser Ich und unser Bewusstsein durch diese Eingriffe und hat dies Konsequenzen für das Personsein? Was passiert, wenn wir „Teil“ eines Mensch-Maschine-Komplexes werden? Sind wir dann noch dieselben? Bedrohen Neurotechnologien gar unser Personsein und unsere personale Identität?
Wir sind mehr als nur unser Gehirn
Klar ist: Neurotechnologische Interventionen betreffen unser „Selbst“ – und dieses ist nicht einfach nur Produkt unserer Gehirnaktivität, sondern entsteht über die Einbettung in einen Körper und durch die Interaktion mit einem sozialen Umfeld. Unser Selbst, das Ich, die Person sind daher mehr als nur das Gehirn und seine Funktionen.
Umso wichtiger ist es, die Folgen neurotechnologischer Eingriffe nicht reduktionistisch zu sehen: Bei allem neurobiologischen Wissen um pathologische Vorgänge im Gehirn behandeln wir immer noch Personen. Selbst wenn wir der Überzeugung sind, dass die Ursache einer Erkrankung allein im Gehirn liegt, darf dies nicht aus dem Blick geraten. Denn womöglich benötigt der Patient mehr als nur die neurotechnischen Hilfe – oder aber braucht gerade wegen der neuen Technik intensivere Betreuung.
Die informierte Zustimmung
Zurzeit gelten die bereits etablierten neurotechnologischen Eingriffe in das Gehirn meist als gerechtfertigt. Denn damit kann Patientinnen und Patienten mit sehr schweren Krankheiten geholfen werden. So invasiv der Eingriff auch sein mag, er lindert Leiden und gilt daher als das „kleinere Übel“. Aber wie weit dürfen wir dabei gehen?
Im Prinzip muss jeder Patient in den neurotechnologischen Eingriff einwilligen, er muss seine sogenannte „informierte Zustimmung“ geben. Schwierig wird es damit jedoch dann, wenn ein Patient nur noch eingeschränkte kognitive Fähigkeiten besitzt – beispielsweise bei Alzheimer oder anderen neurologischen Erkrankungen. Hinzu kommt, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis oft asymmetrisch ist: Der Halbgott in Weiß kann dann einen starken Einfluss auf die Entscheidungen des Patienten haben.
Das „Personsein“
Eine weitere Frage ist, ob ein solcher Eingriff in unsere Persönlichkeit, in unser Personsein eingreift – und wie tief. Mit dem Personbegriff verbinden sich zentrale menschliche Eigenschaften darunter Selbstbewusstsein, Verantwortungsfähigkeit und Zukunftsplanung. Die Ethik gibt hier vor, dass bei Eingriffen in das Gehirn die personalen Eigenschaften und Fähigkeiten der Selbstbestimmung und Verantwortungsfähigkeit nicht verletzt werden sollten.
Aber gerade bei Eingriffen in das Gehirn ist es im Vorhinein nicht immer klar, welche ungewollten Wirkungen dabei auftreten. Hinzu kommt, dass die „Technisierung des Selbst“ auch Auswirkungen auf Alltag und Lebenswelt der Menschen haben kann. In dieser Hinsicht betreten wir in vielerlei Hinsicht Neuland, das es sorgfältig zu vermessen gilt – gerade im Blick auf die Zukunft.
PD Dr. Oliver Müller für bpb.de / CC-by-sa 3.0
Stand: 16.10.2015