Für Schlaganfallpatienten bedeutet die Elektrostimulation noch mehr. Bei ihnen geht es darum, verlorene Fähigkeiten wiederzuerlangen, Lähmungen zu überwinden. Beim Schlaganfall verstopfen Blutgerinnsel Arterien im Hirn. Bei anderen Betroffenen platzt im Hirn eine Arterie. Die Blutzufuhr steht. Ohne frisches Blut und die permanente Sauerstoffzufuhr stirbt das Gewebe innerhalb kurzer Zeit unwiederbringlich ab. Lähmungen sind die Folge. „Time is brain“, sagen Mediziner – „Zeit ist Hirn“.
Knochenjob Physiotherapeut
Je nachdem, welches Hirnareal betroffen ist, fallen bestimmte Körperfunktionen aus, die zuvor aus diesem Bereich gesteuert wurden. Oftmals lähmt der Schlaganfall ein Bein. Doch das Hirn kann den Schaden kompensieren. Gesunde Gebiete übernehmen die Funktion der alten. Allerdings nur, wenn man die Bewegung dem Hirn durch zehntausendfaches Wiederholen antrainiert.
Heute übernehmen meist Physiotherapeuten diese Arbeit – ein Knochenjob. Der Patient schreitet, von einer Art Bergsteigergurt an der Zimmerdecke gehalten, langsam auf einem Laufband. Im Takt der Schritte hebt der Therapeut das gelähmte Bein an und setzt den Fuß wieder auf das Laufband. Eine Therapie bedeutet tägliches Training, wochenlang, bis der Patient das Gehen wiedererlernt – und das Vertrauen darauf, dass ihn das lange gelähmte Bein wieder trägt.
Schlaganfallpatienten gehen stolperfrei
Die Regelungssysteme von Jörg Raisch und Thomas Schauer vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg helfen auch hier. Ähnlich wie beim Ergometer: Knie heben, Fuß kippen, aufsetzen. Was bislang meist der Therapeut macht, übernehmen nun die Muskeln selbst – dank der passenden Elektrostimulation. Das klingt kaum schwieriger als das stimulierte Radfahren. Doch ein Schritt vergeht schnell.
Je nach Tempo dauert er nur eine knappe Sekunde. Die Regelung muss da mithalten, sogar schneller sein, denn der Muskel reagiert mit Zeitverzögerung auf einen Stromstoß. Entsprechend lang war Schauers Weg zur fließenden Bewegung. Mehrere Jahre haben die Forscher programmiert, optimiert. Inzwischen wird ein Prototyp der Regelungssoftware in einer Klinik beim Laufbandtraining eingesetzt.
Tim Schröder / MaxPlanckForschung
Stand: 29.07.2011