Ein Faktor, der bei vielen KI-Experten zum Umdenken in Bezug auf generalisierte künstliche Intelligenz geführt hat, ist die sprunghafte und überraschend große Zunahme der KI-Leistungen. Mit jeder Skalierung der neuronalen Netze und ihrer Parameter entwickeln die Systeme neue, oft unerwartete Fähigkeiten. KI-Entwickler sprechen in diesem Kontext von Emergenz.

Fähigkeiten aus dem Nichts
„Von allen Aspekten der KI sind die emergenten Eigenschaften die rätselhaftesten“, sagte Google-CEO Sundar Pichai jüngst in einem Interview des US-Sender CBS. „Einige KI-Systeme bringen sich selbst Fähigkeiten bei, die wir bei ihnen nicht erwartet hätten. Wie dies passiert, ist noch nicht gut verstanden.“ Die beim Skalieren von KI-Systemen auftretenden emergenten Eigenschaften lassen sich nicht auf Basis der Vorversion extrapolieren, ihr Auftreten ist daher unberechenbar.
Als Beispiel nennt Pichai eine Google-KI, die sich selbst Bengali beibrachte, die in Bangladesch gesprochene Sprache. Ohne dass sie mit dem Internet verbunden war oder speziell auf diese Sprache trainiert worden war, antwortete die künstliche Intelligenz auf einen Prompt in Bengali in der gleichen Sprache. Einige Prompts später konnte sie fließend in Bengali parlieren. Ein weiterer Fall ist die Google-KI AlphaZero, die es durch selbstständiges Training nicht nur in kürzester Zeit zu Meisterschaftsniveau in mehreren Strategiespielen brachte – sie entwickelte auch ganz eigene, innovative Spielzüge.
Strategiesprung im Rollenspiel
Ähnliche Fälle von emergentem Verhalten beobachtet man auch bei OpenAI, dem Unternehmen das ChatGPT entwickelt hat. In einem Beispiel ließ man mehrere KI-Systeme in einer Art Rollenspiel gegeneinander antreten. Um eine Festung zu erobern, musste die eine künstliche Intelligenz ihre Avatare so steuern, dass sie Hindernisse wie Wälle und Mauern überwinden und dabei umherliegende Rampen und Kisten möglichst sinnvoll einsetzen. Die Verteidiger-KI musste wiederum Strategien entwickeln, um diese Angriffe abzuwehren.