Nach Jahrhunderten der absoluten Dominanz beginnt die Macht der Minoer ab 1450 vor Christus plötzlich zu schwinden. Die Großmacht verliert sowohl kulturell als auch wirtschaftlich an Einfluss in der Ägäis. Auf Kreta entstehen zu dieser Zeit zwar noch immer neue Kunstwerke und auch einige Bauten. Aber an ihnen ist bereits der Einfluss einer anderen, konkurrierenden Kultur erkennbar: der Mykener.
Die Mykener haben ihren Machtmittelpunkt auf dem griechischen Festland und dehnen ihr Reich zu dieser Zeit immer weiter über die Inseln der Ägäis aus. Während zuvor die Minoer in diesem Gebiet dominierten, wendet sich nun das Blatt und die Mykener gewinnen die Oberhand. Dass dies auch in Form von Kriegszügen geschah, davon zeugen Spuren von Zerstörungen und Bränden aus dieser Zeit. Warum allerdings die minoische Kultur kurz darauf komplett unterging, ist bis heute ein Rätsel – und ein Gegenstand reger Debatten unter Archäologen.
Der große Ausbruch
Eine der bekanntesten möglichen Ursachen für den Niedergang der Minoer ist der Ausbruch des unter der Insel Thera liegenden Vulkans – vermutlich um 1600 vor Christus, möglicherweise aber auch erst 100 Jahre später – hier streiten sich die Forscher noch. Ausgrabungen zeigen, dass Erdbeben und aufsteigender Rauch die Eruption damals schon längere Zeit ankündigten, die Menschen konnten sich und ihre Habe daher vermutlich rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Dann jedoch begann der Vulkan, Gase, Asche und Bimsstein auszustoßen. Die Aschewolken zogen schnell auch bis nach Kreta und Troja und erreichten sogar Teile des Nahen Ostens. Meerwasser drang in den Schlot ein und die Energie entlud sich in einer gewaltigen Explosion. Die Folgen der Eruption waren verheerend: Thera wurde förmlich zerfetzt, von ihr blieb nur die sichelförmige Insel zurück, die heute den Namen Santorin trägt. Die Hafenstadt Akrotiri wurde unter Asche begraben. Ein Tsunami könnte zudem die minoischen Küstenstädte im Norden Kretas weitgehend zerstört oder zeitweilig überschwemmt haben.
Einige Zeit vermutete man, dass dieser Vulkanausbruch auch das Minoerreich mit in den Untergang riss. Doch archäologische Funde sprechen dagegen. Denn die Zerstörungen waren dafür nicht weitreichend genug und es gibt auch Gebäude, die erst nach der Eruption errichtet wurden.
Löcher im Handelsnetz
Eine andere Erklärung wäre ein schleichender Niedergang: Die Zerstörung wichtiger Städte an der Nordküste Kretas und vor allem der Verlust des Handelshafens Akrotiri könnte das Minoerreich so stark geschwächt haben, dass es den aufstrebenden Mykenern nicht mehr viel entgegensetzen konnte. Dies bestätigte im Jahr 2011 auch eine Studie britischer Forscher. Sie haben anhand eines mathematischen Netzwerkmodells rekonstruiert, welche Folgen der Ausfall von Akrotiri für die Minoer gehabt haben könnte.
„Es ist wahrscheinlich, dass das Entfernen eines wichtigen Knotenpunkts aus dem Netzwerk der minoischen Seerouten die Kosten für den Handel erheblich in die Höhen getrieben haben könnten“, erklärt Tim Evans vom Imperial College in London. Und tatsächlich zeigte sich, dass der Ausfall von Akrotiri wahrscheinlich nicht zu einem sofortigen Kollaps führte. Durch erhöhten Aufwand – mehr Schiffe, mehr Besatzung und längere Zeiten auf See – konnten die Minoer ihren Seehandel vermutlich zunächst notdürftig aufrechterhalten.
Aber auf Dauer machten die hohen Kosten und die verringerten Verknüpfungen das Handelsnetz instabil und löchrig. Die minoische Wirtschaft wurde dadurch allmählich geschwächt. Das wiederum könnte innere Unruhen und gesellschaftliche Umbrüche ausgelöst und auch die Abwehrkraft des Reiches geschwächt haben. Beides hätte dann den Mykenern die Chance eröffnet, Kreta zu erobern.
Ob sich das allerdings damals tatsächlich so abspielte, ist nach wie vor unklar. Was letztlich der ersten Hochkultur Europas den Todesstoß verpasste, bleibt daher bis heute ein Rätsel.
Nadja Podbregar
Stand: 18.07.2014