„Richtig“, sagte der Geograph, „aber ich bin nicht Forscher. Es fehlt uns gänzlich an Forschern. Nicht der Geograph geht die Städte, die Ströme, die Berge, die Meere, die Ozeane und die Wüsten zählen. Der Geograph ist zu wichtig, um herumzustreunen. Er verläßt seinen Schreibtisch nicht. Aber er empfängt die Forscher. Er befragt sie und schreibt sich ihre Eindrücke auf. Und wenn ihm die Notizen eines Forschers beachtenswert erscheinen, läßt der Geograph über dessen Moralität eine amtliche Untersuchung anstellen.“
„Warum das?“ „Weil ein Forscher, der lügt, in den Geographiebüchern Katastrophen herbeiführen würde. Und auch ein Forscher, der zuviel trinkt.“ „Wie das?“, fragte der kleine Prinz. „Weil die Säufer doppelt sehen. Der Geograph würde dann zwei Berge einzeichnen, wo nur ein einziger vorhanden ist.“ „Ich kenne einen“, sagte der kleine Prinz, „der wäre ein schlechter Forscher.“ „Das ist möglich. Doch wenn die Moralität des Forschers gut zu sein scheint, macht man eine Untersuchung über seine Entdeckung.“ „Geht man nachsehen?“ „Nein. Das ist zu umständlich. Aber man verlangt vom Forscher, daß er Beweise liefert. Wenn es sich zum Beispiel um die Entdeckung eines großen Berges handelt, verlangt man, daß er große Steine mitbringt.“
Plötzlich ereiferte sich der Geograph. „Und du, du kommst von weit her! Du bist ein Forscher! Du wirst mir Deinen Planeten beschreiben!“ Und der Geograph schlug sein Registrierbuch auf und spitzte einen Bleistift. Zuerst notiert man die Erzählungen der Forscher mit Bleistift. Um sie mit Tinte aufzuschreiben, wartet man, bis der Forscher Beweise geliefert hat. „Nun?“ fragte der Geograph. „Oh, bei mir zu Hause“, sagte der kleine Prinz, „ist nicht viel los, da ist es ganz klein. Ich habe drei Vulkane. Zwei Vulkane in Tätigkeit und einen erloschenen. Aber man kann nie wissen.“ „Man weiß nie“, sagte der Geograph.
„Ich habe auch eine Blume.“ „Wir schreiben Blumen nicht auf“, sagte der Geograph. „Warum das? Sie sind das Schönste!“ „Weil Blumen vergänglich sind.“ „Was heißt ‚vergänglich‘?“ „Die Geographiebücher“, entgegnete der Geograph, „sind die wertvollsten von allen Büchern. Sie veralten nie. Es ist sehr selten, daß ein Berg seinen Platz wechselt. Es ist sehr selten, daß ein Ozean seine Wasser ausleert. Wir schreiben die ewigen Dinge auf.“ „Aber die erloschenen Vulkane können wieder aufwachen“, unterbrach der kleine Prinz.
„Was bedeutet ‚vergänglich‘?“ „Ob die Vulkane erloschen oder tätig sind, kommt für uns aufs gleiche hinaus“, sagte der Geograph. „Was für uns zählt, ist der Berg. Er verändert sich nicht.“ „Aber was bedeutet ‚vergänglich‘?“, wiederholte der kleine Prinz, der in seinem Leben noch nie auf eine einmal gestellte Frage verzichtet hatte. „Das heißt ‚von baldigem Entschwinden bedroht‘.“ „Ist meine Blume von baldigem Entschwinden bedroht?“ „Gewiß.“
Meine Blume ist vergänglich, sagte sich der kleine Prinz, und sie hat nur vier Dornen, um sich gegen die Welt zu wehren! Und ich habe sie ganz allein zu Hause zurückgelassen! Das war die erste Regung seiner Reue. Aber er faßte wieder Mut. „Was raten Sie mir, wohin ich gehen soll?“ fragte er. „Auf den Planeten Erde“, antwortete der Geograph, „er hat einen guten Ruf…“
Und der kleine Prinz machte sich auf und dachte an seine Blume.
Stand: 19.01.2002
19. Januar 2002