Die Nutzung der Nordsee durch den Menschen greift auf unterschiedliche Art und Weise in den Lebensraum Wattenmeer ein. Gerade bei einem so empfindlichen Ökosystem kann das verheerende Folgen haben.
Die Nordsee ist heute weltweit das größte Fördergebiet der Offshore-Industrie (Offshore = vor der Küste). Wie ein richtiges Industriegebiet, nur nicht an Land, sondern im Meer, sehen die über 400 Ölplattformen aus. Jährlich werden hier circa 205 Millionen Tonnen Erdöl und 92 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Täglich werden aber auch mehr als 40 Tonnen Öl und 270 Tonnen Chemikalien in der Nordsee entsorgt. An die 10.000 Kilometer Ölpipelines fressen sich durch die Nordsee.
Gefährliche Öltanker
Mit mehr als 80.000 Schiffsbewegungen pro Jahr ist die südliche Nordsee eine der meistbefahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt. Der rege Schiffsverkehr bringt für das Wattenmeer große Probleme mit sich. Von den 3.000 weltweit eingesetzten Öltankern, wurden 90 Prozent zwischen 1967 und 1974 gebaut und sind mittlerweile eigentlich reif für die Verschrottung. Nur 10 Prozent der Öltanker entsprechen den neuesten internationalen Sicherheitsstandards, und Beinahe-Havarien von Öltankern sind deshalb auch in der Nordsee an der Tagesordnung…
Die Erdölförderung inklusive Transport ist die größte Bedrohung für die Nordsee und das Wattenmeer. Häufig dringt diese Gefahr nur in die Öffentlichkeit, wenn mal wieder ein mit Öl beladener Tanker verunglückt und Tausende von Watt- und Meerestieren durch das auslaufende Öl qualvoll verenden.
Doch Öl gelangt nicht nur durch Schiffshavarien in die Nordsee. Nahezu täglich wird auf hoher See illegal Altöl verklappt. Aber auch auf legalem Weg ist eine Öleinleitung in die Nordsee möglich – 30 Liter Öl pro Schiff und gefahrener Seemeile sind offiziell erlaubt.
Dieser unauffällige und weniger spektakuläre Öleintrag hat aber dieselben weitreichenden Folgen, wie die öffentlickeitswirksamen Havariekatastrophen. Summiert man die so entsorgten Ölmengen, übersteigen sie sogar häufig die Mengen, die bei Tankerunglücken in die Nordsee gelangen.
Die Folgen für die Nordsee sind katastrophal, denn das Öl zerstört das sensible Gefüge des Ökosystems. Verölte Seevögel und Seehunde, Ölteppiche auf der Nordsee und Teerklumpen am Strand sind nur die offensichtlichsten Folgen. Die schwerwiegenden Auswirkungen sind für den Menschen häufig erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Durch die Veränderung der Wasserzusammensetzung gerät das komplizierte Nahrungsnetz völlig aus den Fugen. Das Öl entzieht unzähligen Organismen ihre Lebensgrundlage und gelangt zudem in die Nahrungskette. So leiden nicht nur die Tiere, die unmittelbar mit dem Öl in Berührung kommen. Auch für den Bestand, die Fortpflanzungsfähigkeit und das Erbgut vieler Arten ist Öl in der Nordsee und im Wattenmeer eine ernstzunehmende Bedrohung.
Untersuchungen an mehreren Plattformen verdeutlichen die Gefahr für das Ökosystem: In einem Abstand von 500 Metern rund um die Plattformen herum wurden starke Beeinträchtigungen und Störungen der Artenvielfalt bei Bodenlebewesen festgestellt. Die Zerstörung ist langfristig und schwerwiegend, denn noch acht Jahre nachdem eine Bohrinsel stillgelegt wurde, hatte sich das Ökosystem im Umkreis von 250 Metern noch nicht regeneriert.
Wattenmeer besonders empfindlich
Das Wattenmeer reagiert auf Ölverschmutzungen noch empfindlicher als die offene Nordsee – die Folgen sind noch gravierender. Fast das gesamte Leben spielt sich hier am Boden ab. Wird dieser erst einmal von einer Ölschicht bedeckt, kommt technische Hilfe bereits zu spät. Wenige Milliliter Öl reichen aus, um drei bis vier Kilogramm lebende Biomasse zu ersticken. Das restliche Öl wird durch Gezeiten und Wind in die Salzwiesen vor den Deichen getragen. Durch die Flut werden die Lebensräume Watt und Salzwiesen zweimal am Tag gründlich vom hin und her schwappenden Ölteppich getränkt.
Ein weiterer Nachteil: Der ohnehin schon langwierige Abbau von Rohöl wird im Wattenmeer durch schlechte Voraussetzungen – wie den geringen Sauerstoffanteil – enorm gebremst. Ölabbauende Bakterien brauchen Sauerstoff, um sich anzusiedeln und schnell zu vermehren. Doch auf den Wattflächen und in den Salzwiesen ist die so genannte „Oxidationsschicht“ nur wenige Millimeter dick, und durch den Ölteppich wird der natürliche Sauerstoffmangel noch verstärkt. Schlickreiche Flachwasserzonen und Salzwiesen brauchen so mindestens zehn Jahre um sich von einer Ölpest zu erholen.
Stand: 09.09.2005