Vom Flugzeug aus gesehen sieht man nur eine dicht gedrängte Ansammlung vieler, ziemlich durcheinander stehender Gebäude – die meisten davon alles andere als hochmodern. Das Gelände des Forschungszentrums CERN bei Genf könnte auch einer beliebigen großen Universität oder einer nach und nach gewachsenen Firma gehören. Vom größten Teilchenbeschleuniger der Welt, den gewaltigen Detektoren und den anderen rekordträchtigen und hochmodernen Technologien zunächst keine Spur.
Doch etwas fällt schon bei der Fahrt mit dem Shuttle zum CERN auf: Hier geht es international zu. Neben dem französischen Fahrer sitzt ein Paar junger chinesischer oder koreanischer Physiker, dann kommt ein älterer US-Amerikaner dazu, der noch intensiv mit einer jungen Kollegin diskutiert. Abgerundet wird das Ganze durch zwei schweigsame Jungforscher unbekannter Nationalität und mir, einer deutschen Wissenschaftsjournalistin. Unser gemeinsames Ziel: das Mekka für Teilchenphysiker aus der ganzen Welt.
Teilchenschleuder im Untergrund
Nirgendwo sonst lassen sich Teilchen mit so gewaltiger Energie aufeinander schleudern, und nirgendwo sonst resultieren aus diesen Kollisionen so viele Daten und Informationen zu den kleinsten Bausteinen der Materie und den Kräften, die jedes Atom, aber auch den gesamten Kosmos zusammenhalten und prägen. Hier, 50 bis 150 Meter unter der sanft hügeligen Landschaft des schweizerisch-französischen Vorjura, liegt der größte Teilchenbeschleuniger und gleichzeitig die größte Maschine der Welt, der Large Hadron Collider (LHC).
In ihm rasten bis vor kurzem noch Protonen mit 99,999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit durch den 27 Kilometer langen Beschleunigerring – jedes Teilchen absolviert dabei mehr als 11.200 Umläufe pro Sekunde. Von supraleitenden Magneten auf ihrer Bahn gehalten, rasen die Teilchenpakete in zwei Strahlen in einander entgegengesetzter Richtung durch die Kreisbahn – um dann an vier Stellen auf Kollisionskurs gelenkt zu werden.
Was bei diesen Kollisionen geschieht, zeichnen vier große und mehrere kleine an diesen Stellen des Tunnels platzierte Detektoren auf. Die Hauptaufgabe dieser meterhohen und tonnenschweren Geräte: Jeden Energieblitz, jedes noch so kurzlebige und exotische Teilchen einzufangen und zu registrieren. Denn in diesen Daten liegt, so hoffen die Teilchenphysiker, der Schlüssel zu einigen noch offenen Fragen unseres physikalischen Standardmodells – und damit quasi der Basis unseres Weltbilds.
Nadja Podbregar
Stand: 02.08.2013