Entzündungskrankheiten sind zwar oft nicht akut lebensbedrohlich, doch können sie etwa durch Gewebeschäden, chronische Schmerzen und psychische Belastungen die Lebensqualität deutlich vermindern, bis hin zur Invalidität. Menschen mit chronischen Darmerkrankungen werden von krampfartigen Bauchschmerzen und heftigen Durchfällen geplagt. Über Fisteln sucht sich bei ihnen der Stuhl oft einen neuen Weg durch die Bauchwand oder das Gesäß, was meist wiederholte Operationen erfordert.
Asthmapatienten kann jederzeit ein Gefühl der Erstickung befallen, wenn die verkrampften Bronchien die Luft nicht mehr durchlassen. Und Hautkranke leiden nicht nur unter juckenden und geröteten Stellen auf ihrer Haut, sondern auch daran, dass sie diese nicht vor anderen verbergen können.
71 Risiko-Gene für Morbus Crohn
Warum Entzündungskrankheiten ausbrechen, ist bis heute nicht ganz geklärt. Bei allen diesen Erkrankungen dürfte es eine komplexe, mitunter beeindruckend starke erbliche Komponente geben. So haben Geschwister von Patienten mit Morbus Crohn ein bis zu 35-mal höheres Erkrankungsrisiko als der Rest der Bevölkerung. 71 Risiko- Gene, die die Erkrankung begünstigen, wurden bis heute für Morbus Crohn identifiziert und mehr als 40 für Colitis ulcerosa. Das Krankheitsrisiko wird also durch Interaktion zahlreicher Gen-Varianten vermittelt. Das Gleiche gilt auch für Asthma, Schuppenflechte oder Neurodermitis.
Bemerkenswert ist, dass sich beispielsweise die genetische Risikokonstellation von Patienten mit Asthma und von Patienten mit Morbus Crohn mitunter stark überlappt, die herkömmliche diagnostische Einteilung nach verschiedenen Krankheiten also gar nicht den molekularbiologischen Ursachen gerecht wird. Wahrscheinlich muss sich die zukünftige Medikamentenforschung eher an den molekularen Zusammenhängen als an klinischen Krankheitsbildern orientieren.
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Auch Umwelteinflüsse spielen eine Rolle
Gleichwohl erklären die bei Geburt mitgegebenen genetischen Risiken noch nicht, warum manche Menschen im Laufe des Lebens erkranken, andere aber nicht. Die Analyse bedeutsamer Umwelteinflüsse ist daher ein weiteres wichtiges Forschungsfeld – hier liegt der Schlüssel zur Prophylaxe.
Tatsächlich dürften die in der westlichen Welt gegenüber früheren Zeiten gewandelten Lebensbedingungen von großer Bedeutung für die Entstehung chronischer Entzündungen sein. In Verdacht stehen etwa ein verändertes Spektrum von Infektionen im Kindesalter und ein erhöhter Antibiotikaeinsatz sowie die drastisch gewandelten Ernährungs- und Hygienegewohnheiten. Allerdings steckt die Forschung hier noch in den Anfängen. Immerhin helfen die identifizierten Risiko-Gene bereits jetzt die Krankheitsprozesse neu zu verstehen.
Stefan Schreiber, Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel / DFG Forschung
Stand: 13.01.2012