Wie fühlt es sich an, UV-Licht zu sehen? Oder die feine Anziehungskraft des irdischen Magnetfelds zu spüren? Was wäre, wenn man die unsichtbaren elektromagnetischen Felder von WLAN oder Stromleitungen wahrnehmen könnte? All das ist für Bodyhacker keine Utopie mehr. Denn es gibt bereits Implantate, die genau dies ermöglichen.
Kitzelnde Fingerspitzen
Ein klassischer Einstieg in die Sinneserweiterung per Bodyhack sind kleine Magneten, die in die Fingerspitzen implantiert werden. Die wenige Millimeter kleinen Plättchen oder Stäbchen sitzen in unmittelbarer Nachbarschaft der Tastsinneszellen im Finger. Kommt der Finger nun in die Nähe eines magnetischen Objekts oder stärkeren Magnetfelds, reagiert der Biomagnet darauf: Er wird angezogen oder abgestoßen und übt dadurch Druck auf die Tastsinneszellen aus. Anfangs spürt der Träger der Magnetimplantate dies nur als Kitzeln in den Fingerspitzen.
Doch im Laufe einiger Monate lernt das Gehirn, diesen Reiz nicht mit einer Berührung des Fingers, sondern mit der Präsenz eines Magnetfelds zu assoziieren – der künstliche Magnetsinn wird in die Wahrnehmung integriert. Wie gut dies funktioniert, erlebte Amal Graafstra, als er in einer Bibliothek den Sicherheitsscanner passieren wollte. Ohne sich dessen bewusst zu sein, stoppte er instinktiv, als seine Magneten das starke elektromagnetische Feld des Scanners registrierten. Für den Bodyhacker ist dies ein Zeichen dafür, dass sein Gehirn sich an diesen neuen Sinn angepasst hat.
Auch Tim Cannon sieht seinen Biomagneten als Sinneserweiterung und als Möglichkeit, ganz neue Informationen über seine Umwelt zu bekommen. „Durch den Magneten in meinem Finger weiß ich jetzt, dass sich das Stromnetz in Europa anders anfühlt als in Amerika“, sagt der Bodyhacker. „Wenn ich die Implantate nicht hätte, würde ich dies nie erfahren“. Für ihn und seine Mitstreiter ist deshalb selbst ein vergleichsweise einfacher Bodyhack wie die Biomagneten eine Erweiterung der Wahrnehmung und des Wissens.
„Nordsinn“ auf der Brust
Eine Steigerung ist „North Sense“ – ein Bodyhack, der es Menschen erlaubt, die Nordrichtung zu erspüren. Was viele Fische, Zugvögel, Kühe und sogar Hunde von Natur aus erspüren, soll damit auch für Menschen fühlbar werden. Das streichholzschachtelgroße, in der Haut über dem Brustbein verankerte Gerät beginnt immer dann zu vibrieren, wenn sein Träger sich nach Norden wendet.
„Das ist etwas völlig anderes als ein bloßes Werkzeug wie einen Kompass, den man nur nutzt, wenn man ihn braucht“, erklärt Liviu Babitz von Cyborgnest, der seit gut einem Jahr den „North Sense“ trägt. „Denn dieses Gerät ist ein neuer Sinn, der einen kontinuierlichen Strom von Informationen liefert.“ Das Gehirn lernt, diesen Sinn in die Wahrnehmung zu integrieren. „Nach einigen Monaten spürte ich die Vibrationen oft gar nicht mehr bewusst“, erzählt Babitz. „Aber ich weiß immer genau, in welche Richtung ich laufe. Ich bin auf ganz neue Weise mit der Welt verbunden.“
Ein Sinn für Erdbeben
Einen neuen Sinn trägt auch die spanische Bodyhackerin Moon Ribas: Sie spürt den „Puls“ unseres Planeten. Immer, wenn es irgendwo auf der Erde ein Erdbeben gibt, beginnt ein kleiner Sensor in ihrer Ellenbogenbeuge zu vibrieren. Je stärker die Erdstöße sind, desto heftiger spürt Ribas die Erschütterungen. Möglich wird dies durch eine drahtlose Kopplung der beiden Armsensoren mit ihrem Smartphone. Eine App empfängt in Echtzeit Daten von seismologischen Messstationen weltweit und überträgt sie an die Implantate.
Für die Künstlerin und Cyborg-Aktivistin sind ihre Implantate eine ganz neue Möglichkeit, am „Pulsschlag“ unseres Planeten teilzuhaben. „Ich modifiziere meine Körper, um meinen Geist zu verändern“, sagt Ribas. Immerhin bis zu 50 Mal am Tag schlagen die Sensoren an. Ihre Vibrationen integriert die Künstlerin unter anderem in Tanzperformances. Für sie sind die Erdbebensignale inzwischen integraler Teil ihrer Wahrnehmung – ihr seismischer Sinn.
Nadja Podbregar
Stand: 16.03.2018