Phänomene

Es beginnt schon im Mutterleib

Frühe Erfahrungen prägen unseren Geschmack

Es ist das erste, was wir im Mutterleib wahrnehmen: Noch bevor wir hören oder sehen, schmecken wir. Denn wie alle Säuglinge schlucken wir schon im Mutterleib das Fruchtwasser und nehmen dabei die typischen Komponenten dieser nährenden Flüssigkeit wahr. Wir schmecken dabei vor allem die Süße der darin enthaltenen Zucker Glukose und Fruktose, die Aminosäuren und Fettsäuren.

Ungeborenes im Mutterleib neben der Plazenta © Wei Hsu and Shang-Yi Chiu / CC-by-sa 2.5 US

Dieses erste Geschmackserlebnis prägt unser Leben von Beginn an. Forscher vermuten, dass Säuglinge unter anderem deshalb von Anfang an Süßes bevorzugen. „Die Vorliebe für Zucker ist angeboren“, erklärt Julie Mennella vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia. Sogar im Mutterleib selbst lässt sich dies schon nachweisen: Fügt man dem Fruchtwasser durch eine Kanüle eine sterile Zuckerlösung hinzu, dann beginnt das Ungeborenen, häufiger zu schlucken. Macht man das Fruchtwasser dagegen bitterer, sinkt die Schluckrate. Und auch Neugeborene unterscheiden schon instinktiv: Sie verziehen das Gesicht bei bitteren Geschmacksreizen, lecken aber ihre Lippen und lächeln, wenn sie Süßes schmecken.

Knoblauch und andere prägende Erfahrungen

Und über das Fruchtwasser prägt auch die Mutter ohne es zu wissen bereits die Geschmacksvorlieben ihres Kindes: Isst sie in der Schwangerschaft viel Knoblauch, gelangen dessen Aromastoffe auch in das Fruchtwasser. Versuche, in denen Schwangere Knoblauchpillen schluckten, zeigen, dass die Kinder anschließend Milch mit leichtem Knoblauchgeschmack dem normaler Muttermilch vorzogen. Ähnlich prägend haben sich in Tests auch Anis, Karotten, Minze, Vanille und Blauschimmelkäse erwiesen.

Isst die Schwangere Knoblauch, schmeckt es auch ihr Kind © SXC

Für Biologen ist diese Form der Prägung nur logisch: „Wenn ein Baby beginnt, feste Nahrung zu sich zu nehmen, ist es das Sicherste, wenn es genau das bevorzugt isst und als essbar erkennt, was auch die Mutter gegessen hat“, erklärt Gary Beauchamp, Geschmacksforscher am Monell Chemical Senses Center.

Es gibt allerdings eine Ausnahme: Salziges lernt ein Säugling erst im Laufe der Zeit zu schmecken. Neugeborene unterscheiden noch nicht zwischen leicht salzigem Trinkwasser und salzarmem Wasser – sie nuckeln beides gleich gern oder ungern. Mit vier Monaten aber ändert sich dies: Dann ziehen die meisten Kinder leicht salziges Wasser vor. Erhalten sie in diesem Alter dann auch noch salzhaltige Kost, beispielsweise weiches Brot, gemanschte Kartoffeln oder andere normal gesalzene Erwachsennahrung, dann essen sie bis ins Schulalter hinein Salziges sogar lieber als Süßes. Das hat im Dezember 2011 ein Versuch der Monell-Forscher gezeigt.

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Nadja Podbregar
Stand: 19.10.2012

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Rätsel Geschmack
Von Knospen, Köchen und Signalen

Es beginnt schon im Mutterleib
Frühe Erfahrungen prägen unseren Geschmack

Aller guten Dinge sind fünf
Was schmeckt unsere Zunge?

Geschmack ist Teamwork
Was haben Geruch und Schmerz mit dem Aroma zu tun?

Verliebte Köche und gefärbter Wein
Wie entstehen subjektive Geschmacksunterschiede?

Eine Frage der Gene
Für Geschmacksunterschiede gibt es auch biologische Gründe

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