Rituelles Verhalten beim Menschen findet sich über alle Zeitalter hinweg – sei es im Altertum, im Mittelalter oder in der Neuzeit. Wahrscheinlich führten sogar schon unsere Vorfahren in der Steinzeit Rituale durch. Grabbeigaben sprechen dafür, dass sowohl der Neandertaler als auch der Homo sapiens bereits vor rund 120.000 Jahren Bestattungsrituale kannten.
Funde von Ocker- und Manganstücken deuten zudem darauf hin, dass Steinzeitmenschen Rituale der Körper- und Gesichtsbemalung praktizierten, wie sie heute noch in zahlreichen traditionellen Gesellschaften verbreitet sind. Die ältesten Hinweise auf einen solchen symbolischen Farbgebrauch datieren Archäologen auf die Phase zwischen 500.000 und 300.000 vor Christus. Das heißt: vor die Zeit der Artbildung des Homo sapiens, der erst vor 200.000 Jahren in Afrika entstand.
Universal menschlich?
Wissenschaftler halten die Neigung zu rituellem Verhalten deshalb inzwischen für etwas universal Menschliches, das womöglich sogar angeboren ist. Zumindest scheint klar: Rituale sind mit der stammesgeschichtlichen und kulturellen Entwicklung des Menschen eng verknüpft.
Doch warum begannen unsere Vorfahren einst überhaupt, Rituale zu entwickeln? Hirnforscher wie Wolf Singer sehen den Grund dafür vor allem in der kognitiven Evolution des Menschen. Die geistigen Fähigkeiten unserer Ahnen führten demnach irgendwann dazu, dass sie Erklärungen für unbegreifliche Vorgänge suchten, eine Idee von Ethik entwickelten und komplexe soziale Interaktionsmuster herausbildeten.
Gesellschaftlicher Kitt
Konzepte wie Göttlichkeit, Lüge und Betrug oder Status- und Machtverhältnisse waren mit den Sinnen jedoch nicht erfahrbar. Erst ihre Verkörperung in Form von Ritualen machte sie im wahrsten Sinne des Wortes erlebbar – und auf diese Weise zu verbindlichen Wirklichkeiten für alle, so die Theorie.
Rituelle Handlungen dienten in der Gemeinschaft demzufolge dazu, Gültigkeitskriterien, Werte und Statusunterschiede darzustellen und zu festigen und auf diese Weise die soziale Stabilität innerhalb der Gruppe zu sichern. Das gemeinsame emotionale Erleben stärkte zudem das Wir-Gefühl, kreierte eine kollektive Identität – und könnte auf diese Weise auch Konflikten vorgebeugt haben.
Daniela Albat
Stand: 07.04.2017