„Damals sprach Josua zum Herrn, als der Herr die Amoriter den Israeliten preisgab, und er sagte in Gegenwart der Israeliten: ‚Sonne zu Gibeon halt an, und Mond, im Tale von Ajjalon.‘ Da hielt die Sonne an, und der Mond stand stille, bis er sich gerächt hatte am Volke seiner Feinde.“ Diese Textstelle aus der Bibel (Altes Testament, Buch Josua 10,12-13) wurde von der christlichen Kirche Jahrhunderte lang als Beweis dafür gedeutet, dass die Erde still steht und sich im Zentrum des Universums befindet.
Sonne, Mond, aber auch die anderen Planeten und die Sterne sollen sich in perfekten Kreisbahnen um sie herum bewegen. Dieses so genannte geozentrische Weltbild ist aber keine „Erfindung“ von Jesuiten oder anderen kirchlichen Gelehrten, sondern wurde bereits einige Jahrhundert vor Christus vor allem in Griechenland etabliert. Und das nicht ohne Grund, denn es stand im Einklang mit vielen damals bekannten Beobachtungen und Messungen.
Aristoteles setzt sich durch
Dass sich diese Vorstellung damals durchsetzen konnte und in der Folge quasi als Dogma angesehen wurde, lag vor allem an Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.). Der vielleicht bekannteste und einflussreichste Philosoph des klassischen Altertums vertrat diese Sicht der Welt in seinen Werken mit Nachdruck und lehrte sie auch seinen Schülern. Auch Hipparchos von Nicäa trug rund 200 Jahre später mit seinem Wirken zu ihrer allgemeinen Akzeptanz bei.
Schließlich war es der griechische Mathematiker, Geograph, Astronom und Philosoph Claudius Ptolemaeus (um 100 bis 175 n.Chr.), der in seinem Standardwerk der Astronomie, der Mathematices syntaxeos biblia XIII, das geozentrische Weltbild ergänzte und verfeinerte. Um beispielsweise zu erklären, dass Planeten scheinbar sowohl ihr Tempo als auch ihre Bewegungsrichtung verändern, fügte er bei ihnen zusätzliche Kreisbewegungen oder Hilfskreise, so genannte Epizyklen, in die Theorie ein.
Da die angebliche Korrektheit dieses geozentrische Weltbild mit Bibelzitaten zu belegen war, wurde es schließlich von der christlichen Kirche „adoptiert“ und für mehr als 1.500 Jahre als alleinige Erklärung der Welt verwendet.
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Die Sonne im Zentrum
Dass sich die Vorstellung von der Erde als Mittelpunkt der Welt so lange halten konnte, ist trotzdem erstaunlich. Denn schon von Beginn an mangelte es nicht an alternativen Ideen und Hypothesen. So war beispielsweise der legendäre indische Gelehrte Yajnavalkya von Mithila schon um 600 vor Christus fest davon überzeugt, dass die Sonne im Zentrum des Sonnensystems steht und sich alle Planeten um sie drehen. Er gilt damit als einer der Urväter des so genannten heliozentrischen Weltbilds. Beweise für seine Theorie konnte er damals allerdings – wen wundert es – noch nicht vorlegen.
Aber auch im Griechenland der Antike gab es zahlreiche Fürsprecher für das sonnenzentrierte System, darunter im 3. Jahrhundert vor Christus Aristarch von Samos. Seine Ideen greift die Mathematikerin, Philosophin und Astronomin Hypatia von Alexandria um 400 nach Christus wieder auf und studiert die Sternen- und Planetenbewegungen mit Hilfe eines damals neuen astronomischen Instruments, dem Astrolabium. Auch sie kommt damit zu Ergebnissen, die sich nicht mit dem geozentrischen Weltbild erklären lassen. Doch weder Aristarchs noch Hypatias Erkenntnisse können sich gegen die Lehren von Aristoteles und Ptolemaeus durchsetzen. Spätestens mit der Etablierung des Christentums als Staatsreligion des römischen Reiches wird das geozentrische Weltbild zum Dogma für das gesamte christliche Abendland.
Die kopernikanische Wende
In Vergessenheit geriet das heliozentrische Weltbild aber keineswegs. In Europa wurde es spätestens ab 1100 nach Christus wieder zum Thema mit dem sich – auch christliche – Gelehrte intensiv befassten. So richtig Bewegung in die Sache kam aber erst wieder Mitte des 16. Jahrhunderts mit dem Mathematiker und Astronom Nikolaus Kopernikus. In seinem Buch „De Revolutionibus Orbium Coelestium“ stellte er das auf den Überlegungen von Aristarch basierende Welt-Modell ausführlich vor – und sorgte so für reichlich Diskussionsstoff. Moderne Geschichtswissenschaftler sehen darin einen Meilenstein auf dem Weg Europas in die Neuzeit und sprechen von der kopernikanischen Wende.
Obwohl Kopernikus bereits 25 Jahre lang in Gesprächen „seine“ Theorie vehement vertreten hatte, erschien sein Werk erst an seinem Todestag, dem 24. Mai 1543. Ob es sich dabei um eine Vorsichtsmaßnahme von Kopernikus handelte, um sich nicht den Zorn der Kirche zuzuziehen oder von Kollegen ausgelacht zu werden, ist bis heute nicht endgültig geklärt.
Stand: 30.04.2010