Neutronensterne sind die Extremisten unter den Himmelskörpern: Kein anderes kosmisches Objekt ist so kompakt und enthält in seinem Inneren so exotische Materiezustände. Auch die Entstehung der Neutronensterne ist ein Extremereignis: Sie werden – wie die stellaren Schwarzen Löcher – bei der Supernova massereicher Sterne gebildet.
Was von Sternen übrigbleibt
Dass es solche exotischen Sternenreste überhaupt gibt, vermuteten Astrophysiker erst Anfang der 1930er Jahre – kurz nach der Entdeckung der Neutronen. Damals grübelten der deutsche Astronom Walter Baade und sein schweizerisch-amerikanischer Kollege Fritz Zwicky darüber, was mit Sternen am Ende ihres Lebenszyklus passiert. Bekannt war schon, dass sich Sterne von mehr als rund acht Sonnenmassen erst zu Roten Riesen aufblähen, dann ihre Hülle ausschleudern und unter Freisetzung enormer Energien explodieren.
Doch wie läuft eine solche Supernova ab? Und was bleibt danach vom Stern übrig? Als Baade und Zwicky versuchten, dies in Gleichungen und Modellen nachzuvollziehen, kamen sie zu einem für damalige Zeit revolutionären Schluss: Sie postulierten, dass der Kern des Sterns zu einem kompakten Objekt kollabiert, in dem selbst Atome keinen Bestand mehr haben. Durch den Kollaps werden die Atomhüllen so stark komprimiert, dass die Elektronen in den Atomkern gedrückt werden und dort mit positiv geladenen Protonen zu Neutronen reagieren. Das Ergebnis wäre demnach ein Sternenrest, dessen Inneres statt aus Atomen aus Neutronen besteht – soweit Baades und Zwicky Hypothese.
Oppenheimer und die Massengrenze
Wenig später griff ein Physiker diese Idee auf, der später in einem ganz anderen Kontext berühmt werden sollte: Robert Oppenheimer. 1939 entwickelte er gemeinsam mit Kollegen ein theoretisches Modell, das die physikalischen Möglichkeiten für die Materiezustände in einem solchen Sternenrest näher beschrieb. Daraus ermittelten Oppenheimer und seine Kollegen erstmals eine Massen-Obergrenze für Neutronensterne. Dieser Tolman-Oppenheimer-Volkoff-Grenze zufolge dürfte ein solcher Sternenrest demnach nicht schwerer werden als 0,7 Sonnenmassen.
Allerdings: Sowohl Oppenheimer als auch seine Zeitgenossen konnten bei ihren Annahmen nur auf sehr lückenhaftes Wissen zum Materiezustand in Neutronensternen zurückgreifen. Denn damals war noch kein einziger Neutronenstern durch Beobachtungen nachgewiesen und auch das Verhalten subatomarer Teilchen war in den 1930er Jahren erst in Ansätzen erforscht. Entsprechend spekulativ waren die Berechnungen der Physiker.
Tatsächlich weiß man heute, dass Oppenheimer und Co mit ihrer Massengrenze zu niedrig lagen. Dennoch wird die Obergrenze der Neutronensternmasse ihnen zu Ehren bis heute als Tolman-Oppenheimer-Volkoff-Grenze (TOV) bezeichnet. Doch wo liegt sie? Klar ist: Hat der Sternenkern bei der Supernova eine zu große Masse, kommt es Zentrum des Gebildes zu einer Singularität – ein Schwarzes Loch entsteht. Dies ist dann der Fall, wenn der Sternenkern beim Kollaps mehr als drei Sonnenmassen wiegt.
Wenn die starke Kernkraft sich umkehrt
Entscheidend für die Stabilität eines Neutronensterns ist jedoch auch eine Eigenheit der starken Kernkraft. Unter normalen Bedingungen wirkt diese Grundkraft wie ein Gummiband, das die Quarks im Inneren der Protonen und Neutronen verbindet. Gleichzeitig hält sie Protonen und Neutronen im Atomkern zusammen. Doch wenn Atome extrem komprimiert werden und dadurch die Distanz zwischen den Kernbausteinen schwindet, kommt es zu einem überraschenden Effekt: Die anziehende Wirkung der Kernkraft kehrt sich um.
Diesen schon lange vermuteten Effekt haben Physiker um Or Hen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) erst im Jahr 2020 experimentell bestätigt. Dafür schossen sie stark beschleunigte Elektronen in hoher Dichte auf Ziele aus verschiedenen Kohlenstoff-, Aluminium- und Eisen-Isotopen. Dabei werden deren Kernbausteine bei einigen Treffern stark genug komprimiert, um diese Umkehrung der starken Kernkraft zu bewirken.
Für Neutronensterne bedeutet dies: In ihrem Inneren könnte dieser Abstoßungseffekt der starken Wechselwirkung die extrem dicht gedrängten Neutronen vor dem Verschmelzen bewahren –zumindest bis zu einem gewissen Grad der Kompression. Ein Neutronenstern kann demnach etwas mehr Masse in sich vereinen, als Oppenheimer und seine Kollegen ursprünglich annahmen, ohne dass der Sternenrest zum Schwarzen Loch kollabiert.
Doch was heißt dies nun für die Massenobergrenze?