Holz schwimmt, Eisen geht unter: Viel mehr als solche einfachen Prinzipien nehmen die meisten Kinder heute nicht mit aus dem Grundschulunterricht zu Physik, Technik oder Chemie – wenn es ihn denn überhaupt gibt. Doch was ist mit den dazu gehörigen Erklärungen für solche Phänomene? Was ist mit Auftrieb und Dichte? Viel zu schwer, nicht altersgemäß zu vermitteln. So lautet meist die Antwort der Lehrer.
Dies sieht Professorin Elsbeth Stern vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung anders. Sie hält nicht nur die Frühförderung im Kindergarten für verbesserungswürdig, sondern auch den Grundschulunterricht. Ihrer Meinung nach sind die Kinder in der Primarstufe in vielen Bereichen sogar schlichtweg unterfordert. Schon Acht- bis Zehnjährige hätten durchaus das Potenzial auch komplexe physikalische oder chemische Prinzipien zu verstehen und sogar selbst zu entdecken.
„Intelligentes Wissen“ und Auswendiglernen
In ihrem Lernlabor am Max-Planck-Institut untersucht sie deshalb zusammen mit ihren Kollegen, wie Kinder am besten an naturwissenschaftliche Fächer und Denkweisen herangeführt werden können. Klar ist: Nicht mit langweiligen und abstrakten Erklärungen. Schon eher, so die Erfahrungen von Stern, mithilfe arbeitsteiliger Experimente. Dabei sammeln die Kinder erste Erfahrungen mit Teamarbeit und kommen gemeinsam bestimmten physikalischen oder chemischen Rätseln auf die Spur.
Ziel von Stern ist es, „intelligentes Wissen“ zu vermitteln, das wiederum später als Grundlage für das weitere Lernen im Laufe der Schulzeit dient. Falsche Lösungen und Umwege gehören nach Ansicht der Bildungsforscherin zum Lernprozess dazu. Der Lehrer hat in einem solchen Fall die Aufgabe Lernsituationen anzubieten, an denen die Schüler selbstständig ihre Fehler erkennen und korrigieren.
In Sterns Konzept ist aber durchaus auch Platz für Üben und Auswendiglernen. Allerdings nur dann, wenn beispielsweise das perfekte Beherrschen des Einmaleins „Arbeitsspeicher“ im Gehirn freimacht für weiterführende Fragen der Mathematik, für den Erwerb von weiterem intelligenten Wissen.
Stern fordert zudem, mit den Unterrichtsinhalten an die bereits vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen der Schüler und ihre Defizite anzuknüpfen. „Schulisches Lernen verbessern heißt, Schülern Aufgaben zu stellen, bei denen sie ihr bereits vorhandenes Wissen erweitern, umstrukturieren und automatisieren müssen“, so Stern in der Ausgabe 1/2006 der Fachzeitschrift Pädagogik.
Wissen wichtiger als Intelligenz?
Wie wichtig Wissen ist, belegten bereits Studien des mittlerweile verstorbenen Professors Franz E. Weinert vom Max-Planck-Institut für psychologische Forschung. Er hatte schon vor einigen Jahren ermittelt, dass die zu Beginn eines Schuljahres verfügbaren Kenntnisse in einem Fach entscheidender für den Lernfortschritt sind als die Intelligenz eines Kindes.
Eine 15 Jahre dauernde Langzeit-Untersuchung von Elsbeth Stern in Bayern bestätigte vor kurzem Weinerts Resultate. Sie machte aber auch noch einmal die Bedeutung der Grundschulzeit für den weiteren schulischen Erfolg deutlich. So hängen nach den Resultaten von Stern die Leistungen von Oberstufenschülern im Fach Mathematik stärker vom Können in den Klassen eins bis vier ab, als von der Klugheit der Schüler. Nur Schüler, die bereits in den ersten Klassen ein gutes Grundverständnis für Mathematik besaßen, brachten auch in der Klasse 11 gute Noten mit nach Hause.
„Die Ergebnisse sprechen dafür, dass man sich über einen längeren Zeitraum mit mathematischen Problemen auseinandersetzen muss, wenn man ein guter Mathematiker werden möchte“, sagt Stern im Juni 2003 in einem Interview des Wochenmagazins ZEIT. Fazit: Je eher Kinder im Kindergarten oder in der Grundschule an bestimmte Fächer und Themen herangeführt werden, desto besser. Defizite jedoch, die in dieser Zeit durch schlechten Unterricht oder falsche Schwerpunktsetzungen entstehen, sind im weiteren Verlauf der schulischen Karriere kaum noch aufzuholen…
Stand: 11.08.2006