Sonntag, 13. März, 11:01 Uhr Ortszeit, Fukushima. Auf dem Gelände des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi knallt es erneut. Wieder steigt eine weiße Rauchwolke auf, wieder fliegt eine Reaktorhalle in die Luft. Wie befürchtet, hat sich nun auch am Block 3 der aus dem Druckbehälter ausgetretene Wasserstoff entzündet und eine Explosion ausgelöst. Doch auch hier ist man offenbar haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt: Der Druckbehälter scheint unbeschädigt, die Radioaktivität im Umkreis des Meilers und im Kontrollraum ist kaum erhöht. Nach wie vor wird in Block 1 und 3 Meerwasser eingeleitet, im Block zwei läuft noch immer das Notfallkühlungssystem RCIC. Im Laufe des Tages scheint sich die Lage allmählich wieder zu beruhigen.
Block 2 außer Kontrolle
Montag, 14. März, 13.25 Uhr Ortszeit, Fukushima. Die Hoffnungen des vergangenen Tages erweisen sich als verfrüht. Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es nun Schlag auf Schlag weiter. Am Block 2, dem bisher einzigen noch halbwegs mit dem regulären Notsystem gekühlten Reaktor, bahnt sich nun ebenfalls eine Katastrophe an. Der Druck im Reaktorgefäß steigt bedrohlich, die Temperaturen ebenfalls. Beides deutet darauf hin, dass die Kühlung nicht mehr funktioniert. Vermutlich hat das Erdbeben zudem einige der Verbindungsrohre zum Ring mit den Kondensatorkammern zerstört, so dass Dampf und damit der Druck nicht entweichen können. Möglicherweise liegen die Brennstäbe hier inzwischen sogar komplett frei. In höchster Eile trifft Tepco nun Vorbereitungen, den Reaktorkern mit Meerwasser zu kühlen.
Ob das gelingt und was genau im Block 2 von Fukushima passiert, darüber gibt es in den nächsten Stunden nur unklare und höchst widersprüchliche Meldungen. Kurz vor 19:00 Uhr meldet Tepco zunächst einen Erfolg: Die Einleitung des Meerwassers habe die Überhitzung des Reaktors 2 gebremst und die Temperatur im Kern sei auf unter 100°C gesunken, heißt es. Die Brennstäbe seien komplett geflutet.
Um 20:40 Uhr jedoch muss Tepco genau das Gegenteil verkünden: Das Kühlen mit Meerwasser ist fehlgeschlagen. Statt vollkommen bedeckt zu sein, liegen die Brennstäbe im Block 2 nun vermutlich sogar komplett trocken. Das Fallen des Wasserstands hat sich nicht aufhalten lassen. Möglicherweise verhindert ein verklemmtes Ventil das ausreichende Einleiten des Meerwassers in den Reaktorkern. 20:50 Uhr Ortszeit, Tokio. Die Situation spitzt sich weiter zu: Betreiberfirma Tepco räumt ein, dass auch in Block 2 inzwischen einige Brennstäbe gebrochen sind – die Kernschmelze hat auch hier begonnen. Im Umkreis des Reaktors seien zudem erhöhte Strahlenwerte gemessen worden.
Informations-Chaos weltweit
Wenige Stunden später erklärt in Wien, tausende von Kilometern entfernt, der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Yukiya Amano, dass die japanische Regierung Hilfe von der IAEA angefordert habe. Gleichzeitig aber sieht er bisher nur wenig Grund für ernsthafte Beunruhigung: „Die Sicherheitsbehälter haben gehalten und die Freisetzung von Radioaktivität ist begrenzt“, lobt Amano die bisherigen Bemühungen um Stabilisierung der Situation. Gleichzeitig verteidigt er die Informationspolitik der japanischen Regierung: „Ich bin überzeugt, dass Japan uns alle Informationen bereitstellt, die es uns geben kann.“
Die IAEA ist zu diesem Zeitpunkt noch immer der Ansicht, dass in den drei Reaktorblöcken von Fukushima Daiichi keine Kernschmelze abläuft. „Wir haben keinerlei Angaben, dass dort momentan Brennstoff schmilzt“, erklärt IAEA-Experte James Lyons, räumt aber ein, dass die Situation „dynamisch“ und nicht abschließend zu bewerten sei.
In Japan dagegen verdichten sich gegen Mitternacht die Hinweise, dass die Brennstäbe im Block zwei erneut komplett trockenliegen. Die resultierende erneute Überhitzung macht es extrem unwahrscheinlich, dass die Brennstäbe dies unbeschadet überstanden haben…
Nadja Podbregar
Stand: 18.03.2011