Was haben die Forscher bislang von Escherichia coli gelernt? In aller Kürze lässt sich dies wie folgt zusammenfassen: Das Netzwerk scheint extrem optimiert zu sein – bis an die Grenzen, die nicht mehr von der Biologie, sondern von der Physik gesetzt werden, wobei alle Parameter des Systems perfekt aufeinander abgestimmt sind. Das Netzwerk verhält sich extrem robust gegen Störungen wie schwankende Proteinniveaus oder veränderte Temperaturen. Und schließlich verfügt das Netzwerk genau über die minimale Komplexität sowie über die minimalen Proteinmengen, die für sein Funktionieren gerade notwendig sind.
Betrachten wir als Beispiel die Empfindlichkeit des Systems: Für ein Bakterium ist es eindeutig von Vorteil, chemotaktisch so empfindlich wie möglich zu sein, um Nährstoffquellen früher als andere Bakterien zu identifizieren und gezielt anzusteuern. Diese Eigenschaft sollte deshalb einer starken evolutionären Selektion ausgesetzt sein.
{1l}
Rezeptorenvermehrung als „Antenne“
Der einfachste Weg, die Empfindlichkeit zu verbessern, wäre, die Affinität der Rezeptormoleküle für Lockstoffe zu erhöhen. Dies hätte jedoch negative Konsequenzen: Irgendwann wäre die Bindung so stark, dass das Bakterium von einem Lockstoff-Stimulus für längere Zeit geblendet bliebe mit dem Ergebnis, dass es an einem Gradienten vorbeischwimmt. Hier würde die Evolution offensichtlich an eine Grenze stoßen.
Deswegen entstand im Chemotaxis-System eine Art Vermehrungsmechanismus: Mehrere Rezeptoren bilden einen Komplex, der die Signale wie eine Antenne aufsammelt und verstärkt. Dies ermöglicht es dem Bakterium, schnell und sensitiv auf die chemischen Stimuli zu antworten.
Sensibler geht nicht
Ein Rätsel bleibt: Obwohl die Empfindlichkeit eines solchen Komplexes linear mit der Zahl der beteiligten Rezeptoren wächst, ist die experimentell ermittelte Zahl der pro Komplex beteiligten Rezeptoren (15 bis 30) nur sehr gering verglichen mit den insgesamt nahezu 10.000 Rezeptormolekülen pro Bakterium. Warum wurde die Anzahl der Rezeptoren pro Komplex während der Evolution nicht erhöht?
Die Antwort kommt aus der Physik: Schon nach einer 30-fachen Verstärkung sind die Bakterien derart sensitiv, dass sie mit dem Rezeptorkomplex einzelne Treffer von Lockstoffmolekülen detektieren können. Noch sensitiver geht es einfach nicht: Bei geringeren Konzentrationen würde das Bakterium nur selten, wenn überhaupt, auf ein Lockstoffmolekül stoßen. Die einzige Lösung wäre, die Oberfläche des Bakteriums zu vergrößern. Das aber bedeutet einen großen Ressourcenaufwand – und damit einen evolutionären Nachteil.
Individuelle Variationen werden abgepuffert
Ein anderes Beispiel ist die Robustheit des Netzwerks: Die Menge an Chemotaxis-Proteinen pro Bakterium variiert erheblich, nicht nur abhängig von den Wachstumsbedingungen, sondern auch von einer Zelle zur anderen innerhalb einer Population. So gesehen sind also auch Bakterien Individuen. Durch eine Kombination der experimentellen Analyse mit der Computersimulation haben die Wissenschaftler gezeigt, dass sich diese Variationen erstaunlich wenig auf das Verhalten der Bakterienzelle auswirken, was auf eine robuste Netzwerktopologie zurückgeführt werden kann.
Dies wird vor allem durch eine Balance der entgegenwirkenden Enzymaktivitäten im Netzwerk und durch negative Rückkopplungen erreicht: Sobald sich das Niveau und damit die Gesamtaktivität eines Proteins erhöht, schreitet das andere Protein ein und bringt seinen Partner wieder zurück auf das Ausgangsniveau. Interessanterweise hat unsere Analyse gezeigt, dass die Natur das Netzwerk eigentlich noch robuster machen könnte – allerdings müsste sie dazu einen größeren Aufwand betreiben. Das existierende Netzwerk scheint das einfachste und am wenigsten aufwendige zu sein.
Stand: 15.02.2008