Chemie

Fast ein Wissenschaftskrimi: Metallischer Wasserstoff

Wir haben metallischen Wasserstoff! Oder auch nicht.

Wasserstoff ist das am häufigsten vorkommende Element im Universum, es geht mit fast jedem anderen Element im Periodensystem Verbindungen ein und bildet zusammen mit Sauerstoff die Grundlage allen Lebens. Ein Blick auf das Periodensystem der Elemente zeigt: Wasserstoff reiht sich in der ersten Hauptgruppe mit den Alkalimetallen Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium und Francium ein. Wasserstoff selbst ist unter gewöhnlichen Bedingungen jedoch kein Alkalimetall.

Aufbau des Jupiter
Im Inneren des Jupiter vermuten Astronomen metallischen Wasserstoff. © Kelvinsong/ CC-by-sa 3.0

Nur unter großem Druck

Mit genügend Druck könnte Wasserstoff jedoch in einen metallischen Zustand übergehen. In diesem exotischen Metallzustand wäre das Element supraleitend und würde Strom nahezu ohne Widerstand leiten – und das sogar bei Raumtemperatur – so die theoretische Vorhersage. Solchen metallischen Wasserstoff vermuten Planetenforscher im Inneren der großen Gasplaneten Jupiter und Saturn, da sie zum Großteil aus Wasserstoff bestehen und in ihnen ein enormer Druck herrscht.

Zwei Physiker der Princeton University, Eugene Wigner und Hillard Huntington, postulierten bereits im Jahr 1935, dass Wasserstoff bei einem Druck von mehr als 25 Gigapascal in einen metallischen Zustand übergehen müsste. Das war ein in der damaligen Zeit unvorstellbar hoher und experimentell nicht herstellbarer Druck. Der Nachweis metallischen Wasserstoffs schien damit unmöglich. 1971 stellte der russische Nobelpreisträger Witali Ginsburg die „Produktion metallischen Wasserstoffs“ sogar als eines der wichtigsten Probleme der Festkörperphysik vor.

Diamantenpresse
Mithilfe einer solchen Diamantpresse setzten Isaac Silvera und Ranga Dias den Wasserstoff unter Druck. © gemeinfrei

Endlich geschafft?

Im Jahr 1989 sollte es dann so weit sein: Zwei Geophysiker der Carnegie Institution of Washington gaben an, metallischen Wasserstoff bei einem Druck von 250 Gigapascal beobachtet zu haben. Bald darauf behauptete ein Forscherteam der Harvard University Ähnliches. Es stellte sich jedoch heraus, dass die beobachteten Effekte ganz andere Ursachen hatten. Sie waren auf den Verlust von Wasserstoff bei hohem Druck zurückzuführen und auf eine verstärkte Fluoreszenz der Diamanten, die den Wasserstoff zusammenpressen. Metallischer Wasserstoff war hingegen nicht im Spiel.

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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Fast ein Wissenschaftskrimi: Metallischer Wasserstoff
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In den folgenden Jahrzehnten behaupteten immer wieder verschiedene Forschungsgruppen, den besonderen Stoff hergestellt zu haben, doch im Jahr 2017 erregte ein Experiment besondere Aufmerksamkeit. Die Physiker Isaac Silvera und Ranga Dias von der Harvard University hatten stark heruntergekühlten Wasserstoff in einer Diamantpresse extremen Drücken ausgesetzt. Bei einem Druck von etwa 495 Gigapascal fing die Probe an, stark zu reflektieren.

„Das war wirklich aufregend“, sagt Silvera. „Als mich Dias rief und sagte: ‚Die Probe glänzt‘, rannte ich hinunter und sah, dass es tatsächlich metallischer Wasserstoff war.“ Ihre Entdeckung fotografierten die beiden Physiker schnell mit einem Smartphone. Kurze Zeit später publizierten sie ihr Experiment und sein bahnbrechendes Resultat im renommierten Fachjournal „Science“.

Wasserstoff im Mikroskop
Durch ein Mikroskop betrachtet sah es so aus, als würde der Wasserstoff bei 495 Gigapascal reflektieren. © R. Dias und I.F. Silvera

…oder nicht?

Doch die Freude über das Ergebnis war nicht von langer Dauer, denn schon bald wurden kritische Stimmen laut, die die Beobachtungen anzweifelten. Wissenschaftler argumentierten, dass der metallische Glanz nicht auf den Wasserstoff zurückzuführen sei, sondern auf ausgetretenes Rhenium der Diamantpresse. Zusätzlich bemängelten sie, dass die rein optischen Messungen kein schlüssiger Beweis für eine metallische Phase seien.

Silvera und Dias weisen die Vorwürfe zurück und vermuten Konkurrenzdenken als Motiv der Kritiker. „Im Grunde genommen handelt es sich bei [den Skeptikern] um Konkurrenten, und einige von ihnen sind wirklich gute Wissenschaftler, die seit einigen Jahren versuchen, metallischen Wasserstoff herzustellen“, sagt Silvera gegenüber Physics World. „Sie sind nicht gerade begeistert, dass es nun jemand anderes geschafft haben soll.“

Der Physiker Ranga Dias ist jedoch kein unbeschriebenes Blatt und stark umstritten. Mehrere seiner Studien wurden aufgrund von Zweifeln an den Messdaten und des Verdachts auf Fälschung zurückgezogen, darunter eine vielbeachtete „Nature“-Veröffentlichung zu Raumtemperatur-Supraleitern. Zudem wurde Dias wissenschaftliches Fehlverhalten vorgeworfen, unter anderem in Form von Plagiaten in seiner Doktorarbeit und Manipulationen in Förderanträgen.

Immer noch nicht genug Druck

Aber woran könnte es liegen, dass noch kein metallischer Wasserstoff erzeugt wurde? Gibt es diesen exotischen Zustand des leichtesten Elements doch nicht? Eine mögliche Erklärung für den noch immer ausstehenden experimentellen Beweis liefert die Berechnung eines Forschungsteams um Lorenzo Monacelli von der Universität La Sapienza: Nach dieser kann sich erst bei einem Druck von 577 Gigapascal atomarer, metallischer Wasserstoff bilden – deutlich mehr als im Experiment von Dias und Silvera.

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