Was macht einen Menschen zum Psychopathen? Wird man schon so geboren – oder sind es doch eher frühkindliche Erfahrungen, die psychopathische Wesenszüge begünstigen? Wie bei vielen Persönlichkeitsstörungen lässt sich diese Frage nur schwer eindeutig beantworten.
Neurologische Unterschiede
Klar scheint allerdings, dass die Psychopathie kein rein psychisches Phänomen ist, sondern neurologische Wurzeln hat. So haben Forscher bei vergleichenden Hirnscans junger Gewalttäter festgestellt, dass es klar erkennbare Unterschiede zwischen psychopathischen und nicht psychopathischen Kriminellen gibt. „Wir haben strukturelle Anomalien sowohl in der grauen Hirnsubstanz wie in bestimmten Teilen der weißen Hirnsubstanz bei den psychopathischen Tätern gefunden“, berichtet Sheilagh Hodgins von der University of Montreal.
Zu diesen neurologischen Merkmalen gehörte ein geringeres Volumen der grauen Hirnsubstanz in Teilen des präfrontalen Cortex und den Temporallappen. Diese Regionen sind unter anderem für Empathie, prosoziale Emotionen wie Scham oder Schuld und für moralisches Denken zuständig. „Auch in den Strängen der weißen Hirnsubstanz, die den hinteren cingulären Cortex mit dem mittleren präfrontalen Cortex verbinden, gibt es Anomalien“, berichtet Koautor Nigel Blackwood vom Kings College London. Diese Verknüpfungen seien vor allem mit dem Fehlen der Empathie assoziiert, aber auch mit der Fähigkeit, aus Strafen und Belohnungen zu lernen.
Gestörte Verbindung
Ähnliches ergab eine Studie von Forschern um Karin Roelofs von der niederländischen Radboud Universität. Sie hatten die unwillkürlichen Reaktionen von psychopathischen Straftätern auf fröhliche oder wütende Gesichter mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) untersucht. Das Ergebnis: „Bei den Psychopathen haben wir signifikant weniger Aktivität zwischen dem präfrontalen Cortex und der Amygdala beobachtet als bei den gesunden Kontrollprobanden“, berichtet Roelofs. „Bei ihnen gibt es offensichtlich weniger Kommunikation zwischen den Kontroll- und Emotionszentren.“
Das könnte erklären, warum Psychopathen meist keine tiefergehenden Gefühle empfinden, wohl aber impulsive Wutausbrüche erleben können. Interessanterweise spielt für diesen Aspekt der Psychopathie offenbar das männliche Geschlechtshormon Testosteron eine wichtige Rolle, wie die Forscher feststellten: Je höher der Testosteronspiegel im Blut der Probanden war, desto ausgeprägter war die Verbindungstörung in ihrem Gehirn. Möglicherweise liefert dies eine Erklärung dafür, warum weibliche Psychopathen seltener zu dieser Form des impulsiven Kontrollverlusts neigen.
Blind für negative Folgen
Und auch der Mangel an Reue sowie der Hang zum ständigen Lügen und rücksichtslosen Verhalten könnte auf abweichende neurologische Strukturen zurückgehen, wie Hodgins und ihr Team herausfanden. Demnach scheinen Psychopathen nicht aus negativen Erfahrungen zu lernen, weil ihr Gehirn auf diese anders reagiert als das nichtpsychopathischer Krimineller. Die Verknüpfung, die das Lernen aus Strafe oder Belohnung reguliert, ist bei ihnen weniger stark ausgeprägt.
Dabei reagieren offenbar vor allem die Verschaltungen schwächer, die negative Erfahrungen verarbeiten. „Dadurch betrachten Psychopathen möglicherweise nur die möglichen positiven Konsequenzen einer Tat und lassen die negativen außer Acht“, erklärt Hodgins. „In neuropsychologischen Tests lernen sie deshalb nicht aus Strafen und verändern ihr Verhalten trotz entsprechender Reize nicht.“
Gene, Umwelt oder beides?
Ob allerdings all diese Auffälligkeiten im Gehirn der Psychopathen angeboren sind oder in der Kindheit erworben, ist bislang ungeklärt. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass es genetische, angeborene Anlagen gibt, die kombiniert mit bestimmten Erfahrungen in der Kindheit wie emotionaler Vernachlässigung, Missbrauch oder Traumata eine Psychopathie begünstigen können. Unklar ist ebenfalls, ob eine einmal etablierte Psychopathie heilbar ist – bisher scheint es keine wirksame Therapie zu geben.
Der kanadische Psychologe Robert Hare sieht in der Psychopathie keine Krankheit, sondern nur eine mögliche Ausprägung der natürlichen Variationsbreite der menschlichen Neurologie. „Aus der Perspektive der evolutionären Psychologie mögen die Strukturen und Funktionen des psychopathischen Gehirns ein wenig anders sein“, sagt Hare im Discovery Magazine. Aber diese prädatorischen Wesenszüge seien unter Umständen durchaus erfolgreich.
Was das konkret heißt, zeigt in Blick in die Berufswelt…