Sie sind die Blaupause des Lebens und die Bedienungsanleitung unseres Körpers: die Gene. Sie steuern unser Wachstum, regulieren sämtliche Zellfunktionen und sorgen dafür, dass unser Organismus reibungslos funktioniert – normalerweise. Was aber, wenn eine entscheidende Zeile in unserer „Software“ Fehler enthält?
Ein falscher Buchstabe reicht
Viele Krankheiten haben genau in solchen Fehlern ihren Ursprung. Angefangen von tödlichen Erbkrankheiten wie Chorea Huntington über zahlreiche genetisch bedingte Stoffwechselstörungen bis hin zu komplexen, vermutlich durch zahlreiche Faktoren ausgelöste Krankheiten wie Alzheimer, Diabetes oder Krebs – immer haben auch die Gene ihre Hand im Spiel. Und selbst bei vermeintlich Gesunden sind Fehler im Erbgut häufiger als man denkt. Denn in jedem Menschen schlummern gleich mehrere Gene, die falsch oder gar nicht funktionieren.
Bei den meisten bleibt dies unbemerkt, weil viele Gene in zweifacher Ausführung vorliegen – eine Kopie von der Mutter, eine vom Vater. Ist nur eines davon defekt, kann im Regelfall das jeweils andere dessen Aufgabe übernehmen. Sind aber beide defekt oder existiert das Gen nur in einer einzigen Variante, wird der auf ihm kodierte Befehl nicht oder nur unvollständig ausgeführt. Als Folge wird ein wichtiges Eiweiß nicht produziert, fehlt ein entscheidendes Enzym im Körper oder werden Zellen und Gewebe nicht korrekt aufgebaut.
Reparatur am Erbgut
Bisher war die Medizin gegen diese Art von Fehlern machtlos. Sie konnte zwar die Symptome lindern und beispielsweise ein fehlendes Enzym durch regelmäßige Gabe von Medikamenten zumindest in Teilen ersetzen. Beheben aber ließ sich der Gendefekt nicht. Doch das könnte sich ändern. Weltweit arbeiten Forscher schon seit gut einem Jahrzehnt mit Hochdruck daran, Methoden zu entwickeln, mit denen sie solche genetisch bedingten Krankheiten direkt dort heilen können, wo sie entstehen – in unserem Erbgut. Das Ziel: mittels Gentherapie einfach die defekten Gene durch eine funktionierende Variante ersetzen.
Voraussetzung dafür ist es aber, genau zu wissen, welches Gen – oder welche Gene – für eine Krankheit verantwortlich ist. In den letzten Jahren haben sich Genetiker daher darauf konzentriert, vor allem die Orte im Erbgut zu identifizieren, die teilweise oder zur Gänze für diese Krankheiten verantwortlich sind. Mit immer größerem Erfolg: Fast täglich sind inzwischen in Zeitungen und Fachmagazinen Meldungen zu lesen, in denen über die erfolgreiche Identifizierung eines an der Entstehung von Krebs, Parkinson, Diabetes oder Bluthochdruck beteiligten Gens berichtet wird. Und fast immer ist der Tenor der Meldung: Wenn wir erst einmal das Gen kennen, können wir es auch bald reparieren.
Vom Labor auf den Markt
Zumindest in Labor- und Tierversuchen scheint dieses Konzept tatsächlich aufzugehen: An Muskeldystrophie erkrankte Mäuse können dank Gentherapie wieder laufen, Hirntumore schrumpfen und zumindest im Reagenzglas lässt sich auch die tödliche Erbkrankheit Chorea Huntington inzwischen heilen. Die Einsatzmöglichkeiten der neuen Technologie scheinen fast unbegrenzt. Und sogar beim Menschen gibt es erste, zaghafte Erfolge: HIV-Patienten, deren Killerzellen zum Teil gentechnisch verändert worden waren, wurden zwar nicht gesund, entwickelten aber zumindest auch keinen Krebs oder andere Nebenwirkungen. Leukämiepatienten besiegen den Krebs und Blinde mit einer speziellen Netzhauterkrankung können wieder sehen.
Noch sind die meisten dieser Gentherapien erst im Stadium der Forschung. Doch langsam beginnt sich dies zu ändern: 2003 soll in China eine erste Gentherapie gegen Kehlkopfkrebs auf den Markt gekommen sein. Und im Oktober 2012 hat die europäische Zulassungsbehörde EMA erstmals ein Gentherapie-Präparat offiziell für den EU-Markt zugelassen. Doch trotz dieser Vorstöße ist die Medizin von einem routinemäßigen Reparatur-Eingriff in unser Genom weit entfernt. Zu komplex sind die Zusammenhänge und Prozesse in unserem Erbgut. Wie leicht etwas fatal schief gehen kann, zeigt der Blick zurück…
Nadja Pobdregar
Stand: 08.02.2013