Wir schreiben das Jahr 400 nach Christus. Inzwischen wird Alexandria von Theophilus dem Ersten regiert. Unter seiner Ägide verschärfen sich die Konflikte in der Vielvölkermetropole, denn dem christlichen Patriarchen ist die hellenistisch geprägte und damit „heidnische“ Gelehrsamkeit ein Dorn im Auge. Er streicht alle nicht-christlichen Feiertage, verbietet öffentliche Opferungen und lässt heidnische Tempel schließen.
Aus Protest hat sich einige Jahre zuvor eine Gruppe von Nichtchristen im Serapistempel der Stadt verschanzt, nicht nur einem weltbekannten Tempel der ägyptisch-hellenistischen Gottheit, sondern auch dem Ort, an dem die Schriftrollen der Bibliothek von Alexandria aufbewahrt werden. Nachdem die Meute christliche Geiseln nimmt und einige von ihnen ermordet, greift Theophilus hart durch: Er lässt das gesamte Serapeum niederbrennen. Mit ihm geht 391 ein Großteil der einzigartigen Bibliothek von Alexandria in Flammen auf.
Alles „Scharlatane und Astrologen“
Es ist keine gute Zeit für Wissenschaftler und Gelehrte. Und erst recht nicht für Mathematiker und Astronomen. Denn weil sie die Bahnen von Planeten und andere Himmelsereignisse vorherberechnen, werden sie nun mit Wahrsagern und Astrologen in einem Topf geworfen. Schon auf dem Konzil von Laodicäa im Jahr 364 hatten die Kirchenoberen ihren Priestern streng verboten, sich solchen „Künsten“ zu widmen: „Diejenigen, die der Priesterschaft angehören, sollen keine Magier, Zauberer, Mathematiker oder Astrologen sein. Noch sollen sie Amulette tragen, die Ketten für ihre Seelen sind.“
Für die Menschen auf den Straßen Alexandrias sind solche Dekrete bisher eher irrelevant. Laodicäa und Konstantinopel sind weit weg und im Vielvölkergemisch der Stadt gibt es immer genügend Möglichkeiten, sich den gewünschten Rat auch im Verborgenen zu holen. „Viele launenhafte Herrscher ordneten Massaker an der christlichen Bevölkerung an. Aber nicht in Alexandria, der Heimat der Bibliothek, der Stadt der Ideen.“, erklärt Justin Pollard, Fachmann für das alte Alexandria.
Auch Hypatia, inzwischen zur Leiterin des Museion ernannt, ist bisher von Repressalien weitgehend verschont geblieben – noch. Vermutlich hat sie dies auch dem Einfluss ihres ehemaligen Schülers Synesios zu verdanken, der sich beim Stadtpatriarchen Theophilus für sie einsetzt. Einige Jahre kann sie weitestgehend unbehelligt weiter lehren. Zu ihren Freunden und Schülern gehört seit Neuestem auch Orestes, Sprössling einer wohlhabenden und einflussreichen Familie.
Nadja Podbregar
Stand: 11.03.2010