scinexx: Wie sind Sie persönlich zur Luftbildarchäologie gekommen?
Braasch: Als Schüler ging ich 1955 zum Segelflug. Von Beginn an hat mich der Blick von oben auf die Landschaft fasziniert und ich habe früh Interesse für Geschichte und Archäologie entwickelt. Später, 1974, stieß ich an Wochenenden als Fluglehrer in Süddeutschland auf Spuren am Limes, die ich nicht deuten konnte. Die ersten Fotos entstanden – ich griff einfach zur Kamera und fotografierte interessante Merkmale in den Feldern. Danach habe ich Bücher gewälzt und mit Wissenschaftlern wie Irwin Scollar am Rheinischen Landesmuseum und Dietwulf Baatz, damals Landesarchäologe in Hessen, korrespondiert. Die beiden haben mich auf die richtige Fährte gesetzt. Daraus hat sich dann die berufliche Tätigkeit entwickelt. 1980 bin ich von der Luftwaffe zur archäologischen Flugprospektion gewechselt.
Was ist die Herausforderung bei dieser Arbeit?
Braasch: Fliegen allein reicht nicht, man muss ja auch erkennen, was man da sieht. Erkennen, Identifizieren und das Foto machen – das sind die Qualitäten eines guten Luftbildarchäologen. Und dazu gehört neben dem entsprechenden guten Auge und einem optischen Gedächtnis die große Erfahrung. Es geht also nicht um die Interpretation von Luftbildern am Schreibtisch, wie es der nur in Deutschland geläufige Ausdruck „Luftbildarchäologie“ leider suggeriert.
Warum ist die Luftbildarchäologie so eine wichtige Prospektionsmethode der modernen Archäologie?
Braasch: Sie lässt den Beobachter aus der Luft unter geeigneten Bedingungen komplexe archäologische Zusammenhänge in kurzer Zeit und mit geringem Aufwand finden und dokumentieren. Und sie ist das erfolgreichste Werkzeug zur Entdeckung und zum Schutz unbekannter Bodendenkmäler. Wir fliegen Pflug und Bagger quasi voraus und vermeiden im günstigsten Fall, dass Denkmäler durch die mechanisierte Landwirtschaft oder Baumaßnahmen zerstört werden.
Wer sind Ihre hauptsächlichen Auftraggeber?
Braasch: Die Landesämter für Archäologie und Bodendenkmalpflege, Universitäten und in geringerem Umfang Museen.
Wie viele Flugstunden absolvieren Sie jährlich und wie viele haben Sie im Auftrag der Archäologie schon insgesamt absolviert?
Braasch: Das wechselt zwischen 400 und 900 Stunden pro Jahr. Insgesamt sind es bald 20.000 Flugstunden für die Archäologie.
Was waren die spektakulärsten Entdeckungen Ihrer Laufbahn?
Braasch: Zum einen natürlich die 1991 entdeckten neolithischen Kreisgrabenanlagen von Goseck und Kyhna, beide sind übrigens älter als Stonehenge. Das hat damals belegt, dass es diese Denkmäler in beachtlicher Zahl auch in Mitteldeutschland gibt. Bis auf eine Ausnahme in Sachsen-Anhalt hatte man bis dahin derartige Anlagen nur in Bayern, Böhmen, Mähren, Niederösterreich und in der Slowakei gefunden.
1985 habe ich bei Marktbreit am Main in Franken ein Legionslager der Römer entdeckt, also ein Lager der Römer außerhalb ihres Reiches. Das beweist den Römischen Feldzug gegen die Markomannen im Jahre 6 nach Christus. Aus der Luft sieht man dort ein Tor und einen Doppelgraben, der das Lager befestigt hat. Aus der Größe des Lagers haben die Experten errechnet, dass die Legion aus etwa 5.000 bis 6.000 Mann bestanden haben muss.
Und im Jahr 2001 kam nach über 20 Jahren, in denen ich die Gegend intensiv abgesucht hatte, unterhalb der frühkeltischen Höhenbefestigung auf dem Ipf ein Großgrabhügel ans Licht. Das zeigt, dass die unzähligen Konstellationen von Klima, Feldbestellung und Zeitpunkt des Suchfluges immer wieder neue Chancen für Entdeckungen eröffnen. Auch dort, wo man glaubt, alles am Boden längst zu kennen, warten immer wieder Überraschungen – das sorgt für Spannung.
Worauf führen Sie die späte Entdeckung am Ipf zurück?
Braasch: Dort in dem Fall war das Luzerne, die sehr tief wurzelt. Damals im August, war die Luzerne noch grün, als Gerste und Weizen als beste Getreidearten für Bewuchsmerkmale längst abgeerntet waren. Nachdem im Frühsommer Regen mit hoher Bodenfeuchte lange alle Spuren im Bewuchs blockiert hatte, bescherte endlich der späte August noch eine Trockenperiode – die Luzerne wuchs zur rechten Zeit am richtigen Ort und brachte mit ihren tiefen Wurzeln aus der Tiefe die Umrisse des vermuteten Fürstengrabes an das Tageslicht.
Wie groß ist der Anteil an Zufalls- und Neuentdeckungen archäologischer Stätten bei der Luftprospektion?
Braasch: In einer Region, die noch nicht beflogen wurde, sind wie auf einer „weißen“ Landkarte alle Entdeckungen neu. Nach Untersuchungen in England sinkt nach 20 bis 30 Jahren regelmäßigen Fliegens die Rate der Neuentdeckungen auf etwa 25 bis 30 Prozent ab und stabilisiert sich da. Für vergleichbare Landschaften in Deutschland sind die Verhältnisse ähnlich. Aber natürlich hängt das Verhältnis von ständig wechselnden Faktoren ab. Dazu gehören die landwirtschaftliche Nutzung, aktuelles Wetter und zurückreichender Klimaverlauf sowie Dichte und Qualität der Flugbeobachtung.
Wie groß schätzen Sie das Verhältnis zwischen Boden- und Bewuchsmerkmalen und Reliefmerkmalen, die letztlich zur Entdeckung von archäologischen Stätten führen?
Braasch: In der mitteleuropäischen Agrarlandschaft führen Boden- und Bewuchsmerkmale, also Bodenverfärbungen und Bewuchsanomalien, zu 90 bis 95 Prozent aller Entdeckungen. Der Rest entfällt auf Schattenmerkmale im Bodenrelief sowie auf die eher seltenen Schnee- und Feuchtemerkmale.
Wie lange möchten Sie noch als Luftbildarchäologe arbeiten?
Braasch: (Lacht.) Also ich fliege noch so lange, bis mich der Fliegerarzt aus dem Flugzeug holt.
Herr Braasch, vielen Dank für das Gespräch!
Stand: 29.02.2008