Martina Meyer ist gerade am Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel gelandet. Sie muss direkt weiter in die Innenstadt. Martina schaut auf die Uhr: Mit U- oder S-Bahn benötigt sie für die zehn Kilometer zum Kongresszentrum knapp vierzig Minuten. Mit Taxi oder Mietwagen dauert es geringfügig länger, aber nur, wenn sie gut durchkommt – angesichts der momentanen Rush Hour fraglich. Doch seit Kurzem gibt eine praktische Alternative: das Lufttaxi …
Zugegeben, dieses Szenario ist eine Zukunftsvision. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts könnte sie jedoch Realität werden. An ihrer Umsetzung arbeiten beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) insgesamt zehn Forschungsinstitute unter Leitung des Instituts für Flugführung. Das inzwischen abgeschlossene Projekt, in dem das DLR mit der NASA und dem Bauhaus Luftfahrt zusammenarbeitete, heißt HorizonUAM (Urban Air Mobility, städtischer Luftverkehr).
Vom Vertidrom zum Vertistop
Martina macht sich auf den Weg zum benachbarten Vertidrom. Von hier aus schrauben sich die elektrisch angetriebenen Lufttaxis in die Höhe. Sie sind in etwa so groß wie ein Kompaktvan und bieten Platz für vier Personen. Mit drei weiteren Fahrgästen, die dasselbe Ziel haben, checkt Martina ein und steigt zu. Ein Pilot oder eine Pilotin ist nicht an Bord, der Flug wird vollautomatisch durchgeführt.
„Vertidrom“ ist im Projekt HorizonUAM der Sammelbegriff für Start- und Landeflächen von Lufttaxis. Darunter fallen sowohl Vertiports als auch Vertistops. Ein Vertiport ist ein Set von Landepads, das neben Ladestationen auch Kapazitäten für Wartung und Reparaturen besitzt. Hier werden Ersatzteile und Werkzeug vorrätig gehalten und Personen kümmern sich um die Einsatzfähigkeit der Flugtaxis. Vertistops verfügen lediglich über ein Landepad sowie minimale Infrastruktur zur Passagierabfertigung, Wetterüberwachung, Kommunikation und Navigation.
Stau am Start- und Landeplatz?
Die Forschenden haben die luftseitigen Abläufe am Vertidrom bereits modelliert. „In Hamburg platzierten wir dafür einen Vertidrom mit einem einzelnen Landepad, dem sogenannten Vertistop, in der Binnenalster“, berichtet Projektleiterin Bianca Schuchardt vom DLR-Institut für Flugführung. „Ein Vertidrom mit mehreren Pads für Start und Landung, also ein Vertiport, haben wir für den Flughafen Hamburg entworfen.“
Dabei berücksichtigten die Forschenden mögliche Infrastrukturausfälle und Verspätungen sowie wechselnde Windverhältnisse. Aus der Simulation leiteten sie ein Konzept ab, mit dem man unterschiedliche Startplatz-Entwürfe bewerten und vergleichen kann. Eine besondere Herausforderung war die Integration am Flughafen, da die Lufttaxis dem konventionellen Luftverkehr nicht zu nah kommen dürfen. Dazu führte das Projektteam eine Realzeitsimulation durch.
Ergebnis: Lufttaxi-Verkehr auf jetzt schon existierenden Landebahnen ist nur in Zeiten geringen Verkehrsaufkommens möglich. Hierfür gibt es zwei Gründe: Die Tower-Lotsinnen und -Lotsen können lediglich eine begrenzte Anzahl zusätzlicher Vehikel kontrollieren. Daher empfehlen die DLR-Fachleute dort die Einrichtung eines speziellen UAM-Lotsenarbeitsplatzes. Hinzu kommt, dass es auf bestehenden Landebahnen nur wenige freie Zeitslots für weitere Abflüge oder Ankünfte gibt.
Wie viele Landeplätze braucht eine Stadt?
Neben dem Vertidrom am Flughafen werden mehrere kleine, über das Stadtzentrum verteilte Vertistops benötigt. Für Hamburg mit knapp zwei Millionen Einwohnenden auf gut 775 Quadratkilometern erstellten die DLR-Fachleute eine Vorhersage auf Basis einer Simulation. Dabei betrachteten sie alle wesentlichen Faktoren – vor allem Fluggeräte und Reisende – als individuell handelnde Einheiten.
Die Auswertung ergab einen Gesamtbedarf von 2.800 Flügen pro Tag mit einer Auslastung von bis zu 80 Prozent. Dieser Bedarf kann durch 275 Lufttaxis abgedeckt werden, die zwischen 20 über das Stadtgebiet verteilten Vertidromen zirkulieren. Die Nachfrage wird aber voraussichtlich nicht für alle Vertidrome gleich hoch sein. Deshalb ergibt sich für jeden Start- und Landeplatz eine andere Anzahl an Parkpositionen für Flugtaxis – für Hamburg insgesamt circa 400.
Flugzeit und Netzwerkmanagement
Auch die Flugzeit kann durch gutes Netzwerkmanagement optimiert werden: Zur Wahl standen zeitslotbasierte Anflüge, wie man sie vom herkömmlichen Flugbetrieb her kennt, und trajektorienbasierte Anflüge. Dabei wird anhand der Informationen „Breitengrad“, „Längengrad“, „Höhe“ und „Zeit“ automatisch eine möglichst direkte Flugbahn berechnet und mit den Flugbahnen der anderen Vehikel in der Umgebung koordiniert.
In der Simulation zeigte sich, dass die Flugdauer bei Zeitslotvergabe tendenziell höher ist als bei Trajektorien. Unabhängig vom Verfahren beträgt die Zeitersparnis gegenüber bodengebundenem Verkehr über 30 Prozent auf ausgewählten Routen, wobei Staus, Tunnelsperrungen und andere Hindernisse im Straßenverkehr in der Simulation noch gar nicht berücksichtigt wurden.