Eigentlich müsste der Merkur längst durch und durch erstarrt sein – kalt und tot wie auch der Mond. Denn in Inneren so kleiner Planeten ist der Druck einfach nicht hoch genug, um große Hitze zu erzeugen und das Eisen des Kerns zu schmelzen, wie bei der Erde. Aber trotzdem hat der Merkur ein Magnetfeld – und damit ein deutliches Zeichen für dynamische Prozesse in seinem Inneren. Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu erklären? Ist der Merkurkern vielleicht doch noch flüssig? Und wenn ja, warum?
Taumelnde Hühnereier
In der Küche gibt es einen einfachen und effektiven Trick, um herauszufinden, ob ein Hühnerei gekocht oder roh ist: Man versetzt es, wie einen Kreisel, in Rotation und beobachtet was passiert. Ist das Innere noch flüssig, bremst seine Trägheit die Rotation, das Ei beginnt zu schlingern und kommt sehr schnell zum Stillstand. Ist es fest, dreht es sich ohne Verzögerungen weiter. Ganz ähnlich, nur in viel größerem Maßstab, verfahren auch die Astronomen – nur dass ihr Objekt von Natur aus schon rotiert. Weil die Schwerkraft der Sonne auf flüssige Planetenbestandteile anders wirkt als auf feste, führt dies letztlich zu winzigen Schwankungen in der Rotation, den so genannten Librationen.
Radarsignale enthüllen Libration
Um herauszufinden, ob der Merkur solche Librationen zeigt, richteten Jean-Luc Margot, Professor der amerikanischen Cornell Universität und sein Team im Jahr 2007 einen starken Radarstrahl auf die Oberfläche des Merkur und fingen die Reflexionen des Signals mit Hilfe dreier weit auseinander liegender Teleskope – dem 70-Meter-Teleskop im kalifornischen Goldstone, dem Radioteleskop von Arecibo in Puerto Rico und dem Green Bank Teleskop in West Virginia – wieder ein.
Anhand der jeweils für die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen charakteristischen Muster im Echo konnten die Forscher genau ermitteln, wie lange es dauerte, bis ein bestimmter Ort der Merkuroberfläche wieder ins Bild kam und damit eine Rotation abgeschlossen war. Auf diese Weise gelang es, die Rotation des Planeten bis auf ein hunderttausendstel genau zu bestimmen.
Kern wahrscheinlich doch flüssig
Tatsächlich ergaben die Daten, dass sich der Planet nicht gleichmäßig dreht, sondern sogar doppelt so große Librationen aufweist, wie für einen völlig festen Himmelskörper typisch. Der Kern des Planeten muss daher flüssig sein, so der Schluss der Forscher. Nur wenn er sich aufgrund der Trägheit nicht oder nur teilweise mitdreht, sind solche Schwankungen erklärbar. Noch allerdings ist nicht klar, wie viel des Kerns geschmolzen ist, ob es sich dabei nur um eine sehr dünne Schicht handelt oder möglicherweise sogar einen Großteil. Das Laseraltimeter von Messenger soll auch hier Abhilfe schaffen und die Libration noch einmal vor Ort und sehr viel genauer erfassen.
Wenn der Kern des Merkur heute noch flüssig ist, dann heißt dies aber auch, dass er nicht aus reinem Eisen besteht. Denn es kann im Inneren des Planeten keinesfalls so heiß sein, dass der Schmelzpunkt dieses Elements erreicht wird. Die Planetenforscher vermuten deshalb, dass der Kern einige Prozent eines deutlich schneller schmelzenden Elements wie Schwefel enthält.
Dämpft eine Stauschicht das Magnetfeld?
Diese Beimischung könnte auch erklären, warum das Magnetfeld des Merkur gegenüber dem der Erde so schwach ist: Nach einer 2006 in „Nature“ vorgestellten Simulation von Ulrich Christensen vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung treiben vermutlich Konzentrationsunterschiede des Schwefels im flüssigen Planetenkern die Magnetfeld-erzeugenden Strömungen an. Diese Strömungen stocken jedoch in den Außenbereichen des Kerns. Hier bildet sich eine stabile Temperaturschichtung, die einen großen Teil des nach außen gerichteten Magnetfelds abfängt.
Eine Bestätigung dieses Modells erhofft sich auch Christensen von Messenger und seinen Messungen. „Sollten sich unsere Vorhersagen bestätigen, räumt das letzte Zweifel daran aus, dass die Dynamotheorie für planetare Magnetfelder allgemeingültig ist“, so der Forscher.
Nadja Podbregar
Stand: 02.10.2009