Flüssigkeit ohne Reibung: Suprafluide

Durch Kapillaren, an Wänden hoch und ewig in Bewegung

Helium ist das leichteste aller Edelgase und ein ganz besonderes Element. Denn es hat mit etwa 4,2 Kelvin – ungefähr minus 269 Grad Celsius – den niedrigsten Siedepunkt aller Elemente. Dadurch ist Helium bei nahezu allen Temperaturen gasförmig, selbst am absoluten Nullpunkt wird es nicht fest. Erreicht das Element jedoch eine Temperatur von 2,17 Kelvin, passiert etwas Besonderes: Es wird suprafluid. Auch das seltenere Isotop Helium-3 wird supraflüssig – jedoch erst bei etwa 2,49 Millikelvin.

Helium fließt an Behälterwand
Suprafluides Helium fließt als dünner Film die Wände des Behältnisses entlang. © Design: Aarchiba; SVG rendering: Júlio Reis/ CC-by-sa 3.0

Das können Suprafluide

Suprafluidität tritt auf, wenn Atome eine kritische Temperatur unterschreiten. In diesem Zustand verlieren die Atome jede Reibung und bewegen sich dadurch völlig unabhängig voneinander. In diesem reibungsfreien Zustand kann Helium selbst durch winzige Kapillaren fließen. Doch das ist nicht die einzige besondere Eigenschaft dieses Aggregatzustands.

Würde man ein Suprafluid in eine Tasse gießen und umrühren, würde es sich unendlich weiterdrehen, ohne jemals zum Stillstand zu kommen, da es keine innere Reibung gibt, die die Bewegung abbremsen könnte. Aber damit nicht genug: Das Suprafluid bleibt auch nicht an Oberflächen hängen und „kriecht“ dadurch an ihnen entlang. Dabei scheint suprafluides Helium sogar die Schwerkraft zu ignorieren, denn es kriecht unter bestimmten Bedingungen selbst Gefäßwände hinauf.

Supraflüssiges Helium hat zudem eine sehr hohe Wärmeleitfähigkeit und eignet sich daher gut als Kühlmittel. Der Teilchenbeschleuniger „Large Hadron Collider“ am Europäischen Forschungszentrum CERN bei Genf nutzt suprafluides Helium als Kühlmittel für seine Magnete.

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Molekulare Grenzgänger
Exotische Phänomene an den Grenzen der Chemie und Physik

Das Spiel mit dem kalten Feuer
Wie zwei zufällige Entdeckungen Autos effektiver machen könnten

Fast ein Wissenschaftskrimi: Metallischer Wasserstoff
Wir haben metallischen Wasserstoff! Oder auch nicht.

Flüssigkeit ohne Reibung: Suprafluide
Durch Kapillaren, an Wänden hoch und ewig in Bewegung

Stark, stärker, Supersäuren
Wenn selbst Edelgase reagieren

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

ATomkern

Im Atomkern - Reise ins Innere der fundamentalen Bausteine unserer Welt

Messfühler
Aufbau des Experiments: Ein gebogener Messfühler bewegt sich durch das ultrakalte Helium-3, während bolometrische Detektoren in der Gefäßwand die Wärmeübertragung messen. © Autti et al./ Nature Communications, CC-by 4.0

Wie fühlt es sich an?

Aber wie würde sich so ein Suprafluid anfühlen? Ein Forschungsteam um Samuli Autti von der Lancaster University ist dieser Frage 2023 auf den Grund gegangen. Dazu nutzten die Physiker einen fingergroßen Messfühler, den sie mit wechselnden Geschwindigkeiten durch ein Gefäß mit suprafluidem Helium-3 bewegten.

Das Ergebnis: Anders als bei einer normalen Flüssigkeit übertrug sich die Energie der Messfühlerbewegung nicht gleichmäßig in die suprafluide Umgebung. Stattdessen detektierte das Messgerät Signale nur an der Oberflächenschicht des Heliums. „Wenn man einen Finger in diese Flüssigkeit stecken würde, hätte man das Gefühl, eine zweidimensionale Membran zu durchstoßen“, erklärt Autti. „Der ganze Rest des Suprafluids würde sich völlig leer anfühlen, wie ein Vakuum.“

Neutronenstern
Neutronensterne sind die dichtesten Objekte im Universum. © Kevin M. Gill/ CC-by 2.0

Des Neutronensterns Kern

Bislang ist nur ein Ort im Universum bekannt, an dem ein Superfluid natürlicherweise vorkommen könnte, wie gleich zwei Forschungsteams im Jahr 2011 herausfanden: in Neutronensternen. Neutronensterne sind extrem dichte Sternenreste – so dicht, dass ein Teelöffel ihres Materials sechs Milliarden Tonnen wöge. Der Druck in ihrem Inneren ist so hoch, dass Elektronen und Protonen zu Neutronen verschmelzen.

Ein Exemplar dieser exotische Sternenreste liegt im Supernova-Relikt Cassiopeia A. Bei diesem Neutronenstern haben die Astronomen beobachtet, dass er sich innerhalb von nur zehn Jahren um vier Prozent abgekühlt hat – nach astronomischen Maßstäben ist dies extrem schnell. Sie vermuten daher, dass die Materie im Inneren des Neutronensterns als Suprafluid vorliegt.

„Die schnelle Abkühlung im Neutronenstern von Cassiopeia A ist der erste direkte Beleg dafür, dass der Kern dieser Neutronensterne tatsächlich aus superfluidem und supraleitendem Material besteht“, erklärt Peter Shternin vom Ioffe Institut in St. Petersburg. Durch den hohen Druck kann die Suprafluidität auch bei den hohen Temperaturen von fast einer Milliarde Grad Celsius im Inneren des Sterns entstehen.

Nicht nur Helium wird suprafluid

Eine andere Frage, die Physiker jahrzehntelang beschäftigte, ist, ob auch Wasserstoff suprafluid werden kann. Bereits im Jahr 1972 postulierte der russische Physiker Witali Ginsburg, dass molekularer Wasserstoff bei Temperaturen von etwa einem Kelvin in diesen Zustand übergehen könnte. Das Problem jedoch: Wasserstoff gefriert bereits bei etwa 13,8 Kelvin – und damit, bevor er die kritische Schwelle zur Suprafluidität erreicht.

Ein Forschungsteam um Hatsuki Otani von der University of British Columbia hat jedoch Anfang 2025 demonstriert, dass winzige Wasserstofftröpfchen mit 15 bis 20 Molekülen tatsächlich superfluid werden können. Dazu schlossen die Forschenden ein Methanmolekül als Sensor in das Zentrum der winzigen Wasserstoff-Cluster ein. Mithilfe von Laserspektroskopie zeigte sich, dass sich das Methanmolekül so drehte, als befände es sich in einem reibungslosen Medium.

Damit hat sich Ginsburgs Vorhersage gut 50 Jahre später bestätigt – wenn auch nur für mikroskopisch kleine Wasserstofftröpfchen. In größeren Mengen wird Wasserstoff hingegen nicht suprafluid, weil er dann schon vorher gefriert.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. weiter
Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

Top-Clicks der Woche